Romeo und Julia Auschwitz': Edek und Mala
Die Nacht brach an, tauchte die Baracken in samtene Dunkelheit. Die letzten Gestalten stahlen sich heimlich durch die Gassen, über die Straßen in ihren Block, in der Hoffnung, der Aufmerksamkeit der SS-Soldaten zu entgehen. Der Mond jedoch schien in seiner ganzen Pracht, machte es den Menschen schwer, sich bedeckt zu halten, zu deren Glück jedoch kein Kommandant zu sehen war.
Der Schein überwand spielend leicht die Gitter der Zellen und erfüllte diese mit hellem, nahezu romantisch anmutenden Licht. Fast konnte man die Blutflecken an der Wand übersehen, den Unrat auf dem Boden. An diesem Abend hatte er aber keinen Blick dafür, lief hin und her, immer wieder, unaufhörlich. Angespannt lauschte er jedem Geräusch, jedem Husten, jedem Seufzer, jedem Scharren. Aber er vernahm kein Rasseln von Schlüsseln, kein quietschen von Türen. Langsam wurde er immer ungeduldiger, auch die Angst staute sich an, begann überhand zu gewinnen. Was ist, wenn...? Da wurde ein Schlüssel bedächtig im Schloss umgedreht, die Tür einen Spalt geöffnet. Bunkerkalefaktor Jakubs Kopf erschien und flüsterte hastig: "Ihr habt 10 Minuten.", ehe er wieder verschwand. Daraufhin stürzte eine Frau ins Zimmer, von den Erlebnissen gezeichnet, mit dunklen Ringen unter den Augen, welche heller als der Mond strahlten. "Mala.", flüsterte Edek, als wäre sie das kostbarste der Welt, ehe er seine Geliebte fest in die Arme schloss und seinen Mund auf den ihren drückte.
Sie waren ganz nah, fast meinte er, ihren Atem im Nacken spüren zu können. Fest umklammerte er ihre Hand, verstärkte den Druck. Seine letzten Kraftreserven aufzehrend, setzte er zum Endspurt an, zog Mala hinter sich her, drängte sie, sich zu beeilen, schneller als ihre Peiniger zu sein. Nur noch stoßweise kam ihre Atemluft heraus, brannte in ihren Hälsen. Sie rannten erst besinnungslos in die eine, dann in die andere Richtung, wobei ihre Seiten höllisch brannten, als würde sie jemand mit Dutzenden glühend heißer Nadeln stechen. Die Zeit verging in einem Fluss, striff an ihnen vorbei, ohne dass sie hätten sagen können, wie viel davon vergangen war. Sie begann an Bedeutung zu verlieren, obwohl sie doch in diesem Moment dasjenige Gut war, von welchem sie am wenigsten hatten. Langsam aber sicher holten die Hunde sie jedoch ein. Das Aufschlagen der Pfoten wurde immer deutlicher. Gehetzt wie das Wild rannten sie weiter. Keine Hoffnung in Sicht, keine anderen Möglichkeiten besitzend. Sie rannten weiter, sprangen über umgefallene Baumstämme, schlugen sich durch das Dickicht. Mala stolperte, fiel auf die Knie. Edek kam zum Stehen, drehte sich um, versuchte noch, ihr wieder auf die Beine zu helfen. Aber es war zu spät. Das letzte, was sie noch sahen, ehe alles in Dunkelheit fiel, waren die wutverzerrten und triumphierenden Gesichter der SS-Soldaten, deren Schlagstöcke auf sie nieder fuhren. Dann war alles vorbei.
Und er schritt durch die Reihen seiner Kameraden, den SS-Soldaten hinter sich, der mit einer Waffe jeden Moment bereit war dessen Leben zu beenden. Aber Edek ging hoch erhobenen Hauptes voran, die Schultern angespannt, mit den Augen den Blick seiner Freunde suchend. Edwards Blick verpasste er, doch dieser konnte die Augen nicht von ihm lassen, musste dessen letzten Atemzüge miterleben, sie in sein Gehirn einbrennen. "Es ist meine Schuld.", schoss es ihm unaufhörlich durch den Kopf. Edek blieb stehen, der Strick schwang leise im Wind, die Masse hielt den Atem an. Langsam bestieg er den Stuhl, fedelte seinen Kopf durch die Schlinge. Er ließ seinen Blick noch einmal schweifen. Über die teils gelangweilten teils schauwütigen Soldaten und über seine Leidensgenossen, die ihm bangen Herzens entgegen starrten. Edek schloss seine Augen sah das liebliche Gesicht vor sich. Und mit ihrem Namen auf den Lippen sprang er ab.
Stolz stand sie vor ihnen, ein verächtliches Lächeln auf dem Gesicht, als ihr Urteil verlesen wurde. Sie dachten Macht, über sie zu besitzen, alles unter Kontrolle zu haben. Innerlich verblutend, verspürt sie unsägliche Freude. "Bald bin ich bei dir.", tönte es ununterbrochen durch ihren Kopf. Die Klinge fest umklammernd, blickte sie ein letztes Mal übers Lager, schaute ihre Verbündeten an und hoffte auf ein besseres Leben für sie, dankte ihnen für ihre Unterstützung. Mala führte die Klinge an ihre Pulsader und Schnitt tief, tiefer, als die NS jemals in sie dringen konnte... Bis sie Edek ermordeten. Und so stand sie, fühlte, wie der Lebenssaft ihre Finger hinunterlief, auf die Erde tropfte und in sie hinein sickerte, wie ihre Kräfte rasend schnell schwanden. Sie ging zu Boden. Ihre letzten Gedanken galten ihm, Edek. Und mit einem Lächeln im Gesicht kam sie in eine bessere Welt.