„Tiere denken – Richard David Precht
Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen“ ist ein informiert-leidenschaftliches Plädoyer, welches unser gestörtes Verhältnis zum Tier enthüllt, die rosarote Brille von unserer Nase reißt und zeigt, welchen Platz wir in der Welt einnehmen (sollten).
„Menschen haben einen Hang dazu, nur das als gleichwertig anzusehen, was ihnen sehr ähnlich ist.“ Dieser Satz zieht sich gleich einem roten Leitfaden durch das gesamte Buch, unter welchem erklärt wird, weshalb die menschlichen Tiere sich als Sonderschöpfung aufführen. In dem Sinne ist sein Werk nicht nur inhaltlich recht gut aufgestellt, sondern weiß auch argumentativ einiges zu bieten. Er beginnt von den Anfängen der Menschen zu erzählen und daraufhin über die Jahrhunderte hinweg auf die Religionen und ihre Verhältnisse zum Tier einzugehen, greift tierethische Philosophien wie die von Aristoteles, Rousseau, Nietzsche sowie Singer auf und prüft sie auf ihre qualitativen Aussagen und Irrungen. Dadurch wird ein breitgefächertes Meinungsspektrum abgebildet und in einem neuen Licht präsentiert.
Es war für mich erneut bemerkenswert, wie sachlich er argumentiert und doch gleichzeitig seine Begeisterung und Bewunderung für die nichtmenschlichen Tiere ausdrückt. Ebenso beeindruckend war seine Herangehensweise, da er Vergleiche zwischen Menschentier und nichtmenschlichen Tieren (insbesondere unseren nächsten Verwandten – den Gorillas, Bonobos, Schimpansen etc.) mit schlichter Präzession herstellt, die Evolution hinsichtlich ihrer Nützlichkeit hinterfragt (Bilden sich Eigenschaften nur aus, weil sie in gewissen Territorien sinnvoll und erprobt sind oder tun sie es, weil es einfach nicht geschadet hat?) und das Lebensrecht der Menschen aufgrund ihrer Intelligenz widerlegt, denn „wir messen noch immer Leistungen von Tieren nach unserem arteigenen Maßstab“.
Zudem psychologisiert er die Moral neben all den Fakten, die er nennt, da dies immer noch bei vielen Menschen der effektivste Weg ist, um auf die Problematik aufmerksam zu machen. So erklärt sich unter anderem der Erfolg von beispielsweise James Aspey sowie Paul Bashir (und im allgemeinen der Erfolg von der Anonymous-for-the-Voiceless-Bewegung), da diese ebenso wie Precht die Leute sensibilisieren und auf die Missstände aufmerksam machen wollen. Man soll nicht nur an sich, sondern auch die Milliarden an Opfer, die toten Tiere, denken. Allerdings setzt Precht auf den „Meliorismus“, welcher meint, dass es nicht nur schwarz-weiß gibt, sondern noch etliche Grautöne dazwischen – die Hauptsache ist, dass man sich bemüht, besser zu werden.
Deshalb glaube ich, dass nicht nur jeder Veganer einmal dieses Buch gelesen haben sollte, sondern jeder Mensch, damit wir einmal über unser Handeln nachdenken und überlegen, wie wir unsere Mitlebewesen sehen sollten. Um uns das klar zu machen, greift er gängige Debatten auf, wie beispielsweise diese, ob Zoos moralisch gerechtfertigt sind oder ob sie die Würde der Tiere verletzen, und ob es vertretbar ist, Tiere zu töten, um sie zu essen. Richtig in Fahrt kommt er insbesondere bei Themen wie Tierversuche und in dem Rahmen Vivisektionen, ob das Jagen in irgendeiner Weise gebilligt werden kann und inwiefern man das Tierschutzgesetz als solches nennen darf - was man per se nicht dürfte, da es ein mehrseitiger Text über das Töten ist. So lässt er an den Themen kein gutes Haar, was mir erneut unseren fragwürdigen, widernatürlichen Umgang mit unseren Mitlebewesen vor die Augen führt.
Precht malt jedoch nicht nur den schwarzen Peter an die Wand, sondern er ist der Überzeugung, dass man durch Aufklärung eine Veränderung unseres Konsumverhaltens herbeiführen kann – schließlich könnte man schwer selbst ein Tier umbringen und würde es womöglich auch nicht verlangen, wenn man damit konfrontiert wird. Und letztendlich zeichnet er eine Zukunftsprognose, die im Großen und Ganzen recht wahrscheinlich scheint. Wer manche Vorträge von ihm gehört, sie im Fernsehen oder auf YouTube gesehen hat, weiß, worauf es hinausläuft. Dennoch sollte das Buch unbedingt gelesen werden, da es die eigene Sichtweise noch einmal um ein Vielfaches erweitert und viel mehr Ideen vorbringt, da der Autor viele gute Gedanken hineingesteckt hat – zudem muss man sich keine Sorgen darüber machen, dass sich sein Werk schleppend liest, da er nach wie vor ein sehr eloquenter Schriftsteller ist.
Natürlich kann man darüber diskutieren, ob die Rehpopulation durch Antibabypillen dezimiert, oder ob sie durch die erneute, kontrollierte Ansiedlung von Wölfen reguliert werden soll. Weiterhin lässt sich über die Übertragbarkeit seiner Gedankenexperimente auf unser Leben und das moralische Empfinden debattieren. Auch die Frage, ob das Konsumieren der Privatperson in einer aufgeklärten Gesellschaft überlassen werden sollte, ist streitbar, denn es gibt durchaus Menschen, die sich vom „Cube of Truth“ überzeugen lassen und tierischen Produkten abschwören, aber es gibt auch genügend Menschen, deren Herz nicht im Mindesten gerührt wird, wenn sie diese brutalen Videos und Bilder sehen. Ich finde unter solchen Beiträgen häufig genug Kommentare wie „Nobody cares about animals dying get a grip and eat them“ (Niemand interessiert sich für sterbende Tiere, greifen Sie zu und essen Sie diese).
Zudem kann eingeworfen werden, dass für die meisten Menschen das Buch erst ab dem Abschnitt „Eine neue Tierethik“ interessant wird, weshalb das Buch wohl in zwei Teile getrennt hätte werden können – einmal wäre es um die Geschichte des Menschen und die der Tierphilosophie gegangen und im zweiten darum, welchen Platz die nichtmenschlichen Tiere in unserer heutigen Gesellschaft einnehmen, was daran verwerflich ist, was man ändern kann und wie die Zukunft wohl aussieht. Nichtsdestotrotz kann ich das gesamte Buch sehr empfehlen, weil viele interessante Inhalte vermittelt werden – es beweist wieder eindeutig, wie unfassbar viel Herr Precht doch verhältnismäßig weiß, welchen Aufwand er für die Recherchen aufbringt.
Als letztes: Man kann über das Buch in Für und Wider diskutieren, wodurch Precht wohl auch ein Teil seines Ziels erreicht, da er die Problematik mit seiner Reichweite nicht nur in die Köpfe vieler Menschen gebracht, sondern vielleicht auch ihre Gefühle angesprochen hat. Für uns bedeutet es nur ein paar Stunden des Lesens und Nachdenkens, doch für ein nichtmenschliches Tier könnte sich ein ganzes Leben ändern.