Der Sohn des Greifen – George R.R. Martin

Der Sohn des Greifen – George R.R. Martin

Waren die letzten beiden Bände eher ruhig und getragen, was den Handlungsverlauf und die Masse an Informationen anbelangt, gleicht dieser eher einem Hurrikan denn dem vorherigen Gewitter. Er ist wohl der farbenfrohste und fantasievollste aller bisher erschienen Teile, hält Überraschungen sowie neue spannende Wendungen parat, und wartet erneut mit einer detaillierten Welt auf, einem angenehmen Schreibstil, der fesselt.

Voller Begeisterung schlug ich erneut die ersten Seiten auf, die Vorfreude steigerte sich ins Unermessliche, weil die Reihe zum Hinreißen in der Lage ist und zum Mitfiebern animiert, wie die unzähligen kontroversen Internet-Debatten, Spekulationen, Websiten, Feuilleton-Artikel, der langwährende Erfolg der Serie und die Game of Thrones Conquest App beweisen.

Doch zunächst erst einmal kurz etwas zu dem Ende seines Vorwortes oder eher gesagt seiner Widmung, die unter anderem uns Lesern gilt. Seine abschließenden Worte lauten „danke für eure Geduld“, was einerseits wirklich lieb und nachsichtig ist, weil Herr Martin weiß, wie viel diese Geschichte seinen Lesern und Fans bedeutet, weshalb er sich schnellst möglich beeilt, diese zu publizieren, auszubauen und zum Ende zu bringen. Aber dieser Satz deutet indirekt auch auf die Problematik mit den beleidigenden, fordernden Nachrichten hin, welche er zum Teil erhält, weil die Fortsetzungen nicht „schnell genug“ erscheinen. Diese Werke brauchen Zeit, Motivation, Gedanken, Ausdauer, Ideen und Liebe, um zu reifen und in dieser Form auf den Markt gebracht zu werden, weshalb es nicht der Maßstab sein sollte, so schnell wie möglich neue Bücher zu fabrizieren, sondern Qualität zu erbringen, welche in seiner Reihe definitiv vorhanden ist. Darum sollte er sich auch nicht andeutungsweise entschuldigen, sondern einfach hoffen, dass auch der „Sohn des Greifen“ Anklang findet und geschätzt wird. So heißt es wohl für uns im Umkehrschluss: Danke für das Buch und das damit einhergehende Engagement.

Mit seinem verheißungsvollen Anfang und all der Spannung gelingt es ihm recht schnell, Einen in seinen Bann zu ziehen, und die magische sowie düstere Komponente hypnotisiert ebenso. Allerdings würde ich mir auch dieses Mal wünschen, im Prolog einen stärkeren Bezug zu den späteren Ereignissen zu finden. Zwar spielt die Mauer, auf welcher Jon seinen Posten hält, in diesem Band eine signifikante Rolle, ebenso wie Brans Reise und seine Gabe, aber auf die Person an sich trafen sie nicht direkt. Er macht uns mit einer der Kernproblematiken und -thematiken vertraut, ohne auf die Hauptdarsteller einzugehen, weshalb sich sagen lässt, dass er wieder einen typisch Martin‘schen Anfang hingelegt hat.

Da ich nun gerade bei Bran angelangt bin: Sein Part wird fantasie-bildhaft genial geschrieben (in dem Sinne mit der beste Teil im Buch), er ist ziemlich einfallsreich und faszinierend; dieser Eindruck wird vor allem zum Ende hin gesteigert. Nach einer Ewigkeit zwischen Schneewänden und Tagen ohne Essen gelangen er und seine Begleiter endlich an ihrem Ziel an, welches mit zu den Highlights des Buches zählt. Allerdings würde es mich noch brennend interessieren, was es mit Kalthand auf sich hat, da dieser nur am Rande angeschnitten wurde. Insbesondere könnte diese Antwort dazu beitragen, die Anderen besser zu verstehen, ihnen womöglich entgegenzutreten.

Und damit gelange ich zu Jon und den Krähen, deren oberstes Kredo ihnen befiehlt, eben jenen Einmarsch zu verhindern. Dazu zählen die meisten auch die Integration von Wildlingen, weshalb Jon als Lordkommandant ein schwere Schlacht innerhalb seiner Reihen zu kämpfen hat. Zu Beginn bewegen wir uns zeitlich gesehen am Anfang des 7. Teils, als er Sam, Goldy und Aemon fortschickt, und erleben alles aus seinem Blickwinkel, erfahren, was seine Beweggründe gewesen sind, was von neuem eindeutig zeigt, dass man niemals vorschnell urteilen sollte. Es steckt immer mehr hinter Taten und Worten, als zu erfassen und begreifen andere Menschen imstande sind. Herr Martin bewältigt es hervorragend, Jons inneren Zwiespalt, seine Unsicherheit und Selbstzweifel zu beschreiben, während dieser versucht, den Jungen in sich selbst zu töten. Nach außen hin wird er seiner gebührenden Rolle mehr als gerecht, was ihm jedoch viele nachsehen, da sie nur darauf warten, sich seiner Führungspolitik zu entledigen. Diese beinhaltet vor allem die Unterstützung Stannis´ sowie die Eingliederung von den Wildlingen. An diesem Punkt kann man wieder die eigene Welt auf das beschriebene projizieren, beispielsweise anhand der Flüchtlingsproblematik. Menschen hinter der Grenze in Zeiten der Not helfen, ja oder nein? Was hätte dies für Folgen(Gesetze, Nahrung, Platz etc.) und was wären die Alternativen? Solchen Gedanken und Spekulationen nachzugehen, bereitet schon unheimliches Vergnügen.

Und Melisandre sowie ihre ganzen Anhänger verkörpern dann wohl diejenigen, welche der festen Auffassung sind, es gäbe nur einen einzig wahren Gott, was prinzipiell akzeptierbar ist, solange man anderen nicht seinen eigenen Glauben aufzwingt, was hier nicht der Fall ist. Besonders nachdem wir von Brans Begegnung lesen, wird ihre Weltsicht und ihr Aussage erschüttert bzw. teils widerlegt. Da ihre Absichten, Gedanken und Pläne jedoch weiterhin im Verborgenen liegen, obschon wir Einblicke in ihr Wirken erhalten, fällt es mir persönlich nicht leicht, ein Urteil über sie zu bilden. Auch kann sie nur schwer einschätzen, weshalb er ihr nicht traut, obwohl er gezwungen ist, mit ihr zusammenzuarbeiten.

Nachdem Stannis in den Krieg gezogen ist und versucht, Tiefwald von Asha und ihren Männern zu befreien, müssen Melisandre und Jon öfter in Kontakt treten. Was Stannis Rolle in diesem Spiel um die Throne anbelangt, kann ich in Anbetracht dessen, was Aemon über Lichtbringer und Dany geäußert hatte, auch nichts näheres sagen. Obwohl er seinem Bruder Robert charakterlich nicht im Mindesten gleicht, erinnert seine Geschichte an den Anfang der Reihe. Er versucht, die (nahezu) wahnsinnige Cersei vom Thron zu stürzen, das ganze Land ist im Aufruhr, er erhält Unterstützung aus dem Norden und sein getreuester Vertrauter, Davos, gleicht erheblich Eddard Stark: Er ist loyal, ehrenvoll, ernst und bescheiden. Deshalb wird es sehr interessant, zu erfahren, wie Stannis‘ weiterer Weg aussieht, wann und wo er endet.

Und damit kommen wir vorerst zu Dany, welche ihr Versprechen aus dem letzten Buch einhält und versucht, Meereen zu regieren. Und das ist einfach klasse, weil sie nicht um des Regierenswillens Königen sein möchte, sondern aus Berufung, um etwas zu verbessern. Und das beinhaltet die Verfemung und Bestrafung von Sklaverei, was ihr viele Übel nehmen, insbesondere die Harpyien (Reiche sowie Sklavenhändler). So gelangen Gerüchte über sie in den Umlauf, Fakten werden verdreht, Situationen verzerrt und Geschichten erfunden, sodass ein kontrastrierendes Bild von Danys Wesen in den freien Städten mündlich geschaffen wird. Auch diesen Sachverhalt können wir gut auf unsere Gesellschaft projizieren. Es ist faszinierend und bedenklich, dass beinahe alle um sie herum sie zu überreden versuchen, nach Westeros zu ziehen und die Stadt fallen zu lassen, aber auch die Kompromisse und Techniken, die sie zur Erhaltung des Friedens anwenden soll, sind moralisch teils verwerflich (Wieder-Eröffnungen der Kampfarenen, Folter etc.). Deshalb ist es kein Wunder, dass sie ablehnt. Die Frage bleibt jedoch: Wie stark muss ein Mensch sein, um dem permanenten Druck nicht nachzugeben? Vor allem, was soll sie machen, wenn von vielen einflussreichen Leuten gefordert wird, wenn es gebilligt und erwünscht ist, dass sie sich „schlecht“ verhält? Was ist, wenn diese Menschen noch nicht bereit für diese Veränderungen sind, die Umbrüche zu schnell erfolgten?

Was Westeros betrifft, versuchen ihr gleich mehrere Parteien eine Überfahrt zu sichern. Unter diesen befindet sich der Erbe Dornes, die Sonne, vor welcher Dany in der Prophezeiung gewarnt wurde. Auch Illyrio spinnt weiterhin seine Pläne, wobei er auf einen kleinen Zwerg ohne Nase stößt, dessen Hauptfrage das gesamte Buch über ist: Wohin gehen alle Huren? Meine spontane Antwort wären die Lustgärten von Lys gewesen, aber das kann nicht des Rätsels Lösung sein, weshalb wir in diesem Fall beide recht ratlos sind (Spekulationsraum). Gepaart mit seinen Schuldgefühlen erleben wir diesen Mann von einer anderen Seite, seine Selbstironie, den Sarkasmus und die schlagfertige Zunge bleibt ihm jedoch stets treu. Tyrions Humor ist bezaubernd wie eh und je. Und seine Abenteuer beinahe ebenso fantasievoll und sagenhaft wie Brans, weshalb sich diese Kapitel rasend schnell lesen lassen. Das liegt unter anderem an seinen Begleitern, welche ein auffallendes Grüppchen bilden. Mit ihnen erwartet die Lesern eine große Überraschung, die wiederum ganz neue Optionen und Möglichkeiten aufwerfen, was die kommende Handlung anbelangt. In den Greifen verbergen sich tiefe Geheimnisse, die in Dorne wohl noch für einigen Wirbel sorgen werden. Einerseits hätte man sich denken können, dass solch eine Wendung kommt, andererseits ist diese schlicht und ergreifend eine große Überraschung. In dem Sinne würde ich aber eine Kleinigkeit am Titelnamen verändern: Anstatt „Der Sohn des Greifen“ wäre „Der junge Greif“ oder „Der Junge des Greifen“ etwas passender. Aber das nur am Rande.

Und als letztes noch: Der Leser trifft auf eine längst aus dem Sinn entschwundene Person, die sich selbst nur noch als „Stinker“ wahrnimmt. Wir kommen mit dem Seelenzustand der Gebrochenheit in Berührung, welchen Herr Martin ziemlich intensiv und emotional erschütternd schreibt. Er war ein unangenehmer Zeitgenosse, aber in diesem Zustand kam ich nicht umhin, Mitleid zu haben. Vor allem die Anfangsszene war erschreckend und abstoßend und die späteren Beschreibungen von seiner Gefangenschaft bei Ramsay waren kein Stück besser. Allerdings lernt er im Laufe des Bandes, sich wieder etwas mehr zu trauen, Schritt für Schritt und genau im richtigen Maß, dass es authentisch wirkt. Alle Achtung.

Fazit:

Für diejenigen, für welche meine Ausführungen etwas zu ausufernd geworden sind, das ganze kurz zusammengefasst. Dieser Band ist verhältnismäßig außerordentlich fantasievoll, sehr bildhaft und sprachlich einwandfrei geschrieben, die Handlung ist energetisch, abwechslungsreich und fesselnd. Wir erleben eine Mischpalette der Gefühle: Schuldgefühle, Selbstzweifel, Verzweiflung, Unsicherheit, Gebrochenheit, Misstrauen, Lust und Freude. Wir treffen erneut auf liebgewonnene sowie unsympathische Protagonisten, die jeder für sich einiges erleben und charakterlich Standfest wie eh und je sind. Wobei wir allerdings wieder mit Informationen und Charakteren überflutet werden. Für Spekulationen herrscht gleichfalls ein großer Spielraum und den Gedanken sind keine Grenzen gesetzt. Einfach herrlich, ein richtiges Lesevergnügen. Ich kann es jedem „Das Lied von Eis und Feuer“-Fan nur wärmstens empfehlen.


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