Die Dunkle Königin – George R.R. Martin
Westeros bleibt weiterhin in seiner Detailverliebtheit bestehen, der Band leitet ohne stilistischen Bruch ein, was es stets zu einem Genuss macht, in diese aus Worten geschaffene Welt einzutauchen. Die Machenschaften am Hof laufen auf Hochtouren, Krähen und Vipern regen sich, andere Protagonisten sind fortlaufend auf Reise, sei es über das Meer oder durch die Flusslande Westeros'. Andere Geschichten hingegen erfahren wir über Drittpersonen. Und die ein oder andere Wendung lässt Gefühlswallungen sowie Spekulationen regelrecht an Fahrt aufnehmen.
Im Vordergrund steht natürlich weiterhin Cersei, welche die Siebenkönigslande mit schwacher Hand und einem Rat voller Narren regiert. Ihr gehässigen Kommentare, ihre Ansichten und die penetrante Selbstüberschätzung zerren arg an den Nerven, rauben diese manchmal ganz und gar. Je mehr Kapitel aus ihrer Sicht erscheinen, desto höher steigt die Abneigung. Die minimale Anzahl an Verständnis, die sie sich in den letzten Bänden vielleicht noch erkämpfen konnte, schwinden nun völlig. Sie intrigiert gegen die Tyrells, will sich Magaery's entledigen, schließt eine fatale Abmachung nach der nächsten, ohne jeglichen Gedanken an die Konsequenzen. Wie schafft sie es bei all dem, nicht entmachtet zu werden? Cersei besitzt mehr Feinde denn Verbündete, doch unternimmt niemand etwas, um sie zu stürzen. Stattdessen entschädigt das Ende des Buches um ein Vielfaches, da zwei ihrer Pläne nicht in der Form ausgegangen sind, wie sie erhofft hatte und sich nun gegen sie richten.
Verweilte Jaime anfangs noch in Königsmund, sah der Selbstüberschätzung seiner Schwester beim Wachsen zu, musste er sich bald nach Schnellwasser auf machen, was einen inneren Konflikt auslöst. Auch seine Handlosigkeit belastet ihn sehr, aber humanitär gesehen, wird er immer zufriedener mit sich. Mittlerweile ist er mit einer meiner Lieblingsprotagonisten. Für manch einen mag die 180-Grad-Wende seiner Persönlichkeit vielleicht unglaubwürdig erscheinen, doch das ist nicht wirklich der Fall (meiner Meinung nach). Die ganzen Situationen formten ihn sicherlich, doch der gute Kern schlummerte schon immer in ihm. Die vorgefassten Meinungen und Informationen von Drittpersonen ließen ihn wie ein verabscheuungswürdiger Halunke wirken, der er zu einem Teil natürlich auch ist, aber eben nicht ganz. Und dieser Teil überwiegt keineswegs. Seine Fehler versucht er nun wieder gut zu machen. Und dadurch, dass er am Ende des Buches einen gewissen Brief dem Feuer übergibt, steigt oder sinkt er unweigerlich in der Achtung der Leser. Eine schwierige Geste, und doch die beste Entscheidung für das gesamte Königreich.
Währenddessen sprießen plötzlich Spatzen wie Gras im Frühjahr aus dem Boden, die einfachsten Menschen aus dem ganzen Reich. Und Unmengen von ihnen begeben sich auf zur Septe Königsmund's, streng gläubig, den Sieben Aspekten fatalistisch ergeben. Eben jene heilige Institution der Septen macht absolut wütend. "Die Frevler sollen zittern!" Religionsstreitigkeiten, einige politische, soziale sowie historische Ereignisse und (Un-)Werte unserer Welt wurden zweifelsohne in diese transferiert. Zu Beginn der Reihe war es deutlich spürbar, mittlerweile hat es jedoch nachgelassen, weil Herr Martin wünscht, dass alles möglich ist, weshalb er sich schon seit einiger Zeit nicht mehr an historische Abläufe hält. Aber die Scheinheiligkeit des obersten Septons, das proklamieren von Gerechtigkeit, obwohl er eigentlich nur seine Macht ausbauen will, sowie der damit einhergehende Wille, in Zeiten des Umbruchs an vorderster Stelle stehen zu müssen, lassen einen mit den Zähnen knirschen. Selbst, wenn er dadurch einen schlechten Menschen festsetzt und handlungsunfähig macht. Damit meint der Autor jedoch nicht die gesamte Septe, nicht alle Gläubigen. Schließlich sind Brienne, Pod und Hylo mit einem Septon, eher ein gutmütiger Bettelbruder, welcher so lebt, wie die anderen es predigen, unterwegs und auf der Suche nach Sandor Clegane.
Da wir nun einmal bei Brienne angelangt sind: Ich hätte mir mehr Interaktion zwischen ihr und Hylo gewünscht. Da wartet Herr Martin schon mit solch einer gemeinsamen Vergangenheit auf, ohne dass er diese noch einmal richtig aufbereitet. Bei Brienne ist es nachvollziehbar, dass sie das Thema nicht anschneidet, von Hylo hätte ich jedoch gegenteiliges erwartet. Es folgten aber keine Kommentare, keine Anspielungen, sondern nur eine einzige, halbe Frage/ ein Angebot. Allerdings gibt es so viele Geschichten, Schicksale und Details, welche um unsere Aufmerksamkeit buhlen, dass dies nicht ganz so ins Gewicht fällt. (Obwohl eine Entschuldigung absolut angebracht wäre.) Und dann, ohne es recht zu merken, sind wir auch schon an Briennes Ende angelangt, wobei dieses den schlimmsten Cliffhanger im ganzen Buch darstellt. In diesem Zusammenhang ist ausdrücklichst darauf hinzuweisen, dass wir endlich herausfinden, wer die ominöse Lady Steinherz, welche die Wegränder mit Leichen ausstattet, ist. Manch einer mag es innerhalb dieses Bandes vermuten, und doch ist es etwas ganz anderes, diese Vermutungen bestätigt zu kommen. Sie wird von Rachsucht, Hass und Trauer getrieben; diese Gefühle brennen so heiß, dass die Geächteten sich daran verbrannten und von ihrem Streben nach Gerechtigkeit abkommen. Somit wäre womöglich geklärt, wer die Dunkle Königin ist, nach welcher das Buch benannt wurde.
Um die ehrgeizige Arianna nicht außen vor zu lassen: Ihre Kapitel mögen nicht die spannendsten sein, schließlich ist sie in einem Turm eingesperrt, aber die Unterredung mit ihrem Vater lässt völlig neue Zukunftsvisionen und ein anderes Bild von Doran Martell entstehen. Nicht nur sie war überrascht. Das nächste Buch verspricht spannend zu werden. Dies bezieht sich aber nicht nur auf Ariannas Schicksal, sondern auch auf Sansas. Petyr wird für sie nach den Sternen greifen und das Spiel der Throne spielen. In der Zeit lernte sie auch einiges im Umgang mit Menschen und übernimmt Verantwortung, aber warm werden konnte ich mit ihr nicht. Sie ist noch immer oberflächlich, vor allem aber der Plan zum Ergattern ihres Erbes lässt die emotionale Distanz aufrecht erhalten.
Arya ist eine ganz andere Messgröße, nur wurde sie leider schon wieder stiefmütterlich behandelt. Es wäre unheimlich interessant, zu wissen, welche Auswirkungen der Prozess der Selbstaufgabe auf sie hat, ob sie diesem Pfad kontinuierlich bis zum Schluss folgt und sich ihr auf diesem Jaqen H'ghar offenbart, oder ob sie undefinierbare Gründe nach Hause treiben. Hoffentlich wird sie in den nächsten Bänden weiterhin ein Bestandteil sein und vielleicht sogar etwas mehr in den Fokus gerückt.
Abgesehen von denjenigen, die das nächste Mal aufrücken werden, stehen noch die Schicksale des wasserscheuen Sam, von Goldy und Aemon sowie das der Krähen aus, welche auf Geheiß Euron Krähenauges plündernd und Schiffe kapernd das Meer befahren. Zu den letzteren: Victorian beugt sich zunächst den Befehlen seines Königs und kehrt stets erfolgreich zum Berichterstatten zurück, aber in ihm brodelt es. So befolgt er zwar auch die letzte Weisung, denkt aber gar nicht daran, seinem Bruder die schöne Prinzessin später zu übergeben. Was die anderen Drei betrifft: Die Segel Zimtwinds wurden Richtung Altsass gehisst, damit Sam seine Kette schmiedet und den Maestern von der lange im Unklaren liegenden Prophezeiung berichtet. Auf dem Weg dorthin erfährt er manch Leid und muss wiederholt mit seinem Gelübde ringen. Wie auch die anderen Stränge laufen diese primär auf das Ende dieses Buches hin und entfalten in dem Moment die größte Sogwirkung, da keine Kapitel mehr folgen. So animiert er einen geschickt, das Folgebuch zu lesen.
Und, nicht zu vergessen, Der Winter naht, woran uns der aufkommende Schneefall im südlichen Teil Westeros erinnern soll. Die Mauer ruft förmlich nach einem, ebenso wie das, was hinter ihr verborgen liegt.
Theoretisch ließe sich im Nachhinein sagen, dass der Grundbaustein gelegt ist, um die Serie langsam zu beenden, oder zumindest den ein oder anderen wichtigen Hauptstrang. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass zukünftig keine großen Konflikte auf uns warten. Aemon und Darons Pläne sowie Voraussagen gepaart mit der Weissagung der Maegi über Cersei und Sams Botschaft an den Magier lassen einen frohlockend auf das Kommende harren. Um einen Bogen zum Anfang des Buches zu ziehen: Das Theaterspiel zeigte Löwen, die immer anmaßender wurden und die Hirsche auffressen; doch ein Drache schlüpft aus dem Ei und vertilgt die Löwen. Diese Zukunft ist nicht eingetreten, dennoch sollte man diese Szene wohlweislich im Hinterkopf behalten.
Um noch auf den Schluss meiner letzten Rezension/ Buchvorstellung einzugehen: Dieser Teil gehört zum vorherigen, weshalb er defakto jener 1000-Seiten-Band ist, den ich ersehnt habe, eben nur in ein zweites Buch aufgeteilt. Allerdings ist dieser Umstand wirklich schade, da auch andere Reihen (wie „Das Schwert der Wahrheit“) bis hin zu tausend Seiten besitzen, dabei noch einen engeren Zeilenabstand sowie eine geringe Schriftgröße aufweisen, und trotzdem als Ganzes verkauft werden. Dieser kleine Makel ist jedoch nicht des Autors Schuld und zudem Meckern auf hohem Niveau, weshalb es nicht so streng betrachtet werden sollte.
Diese Festlegung hilft dem ein oder anderen insofern, als dass das Übermaß an Geschichten einem nicht den Kopf zu sprengen vermag. Somit bewegen die Bände sich noch in einer Dimension, die man gut überschauen und Revue passieren lassen kann. An Erzählungen, Facetten, Gegensätzen, Vielfalt, verschiedenen Ausprägungen, Deutungsmöglichkeiten und Eigenschaften mangelt es dieser Reihe schließlich nicht im Mindesten, wofür ich wirklich dankbar bin. So, wie diese Welt gezeichnet wird, stellt sie zwar keine dar, in der ich gerne leben würde, aber eine, die so großzügig ausschmückt ist, dass man nicht umhin kommt, sich in ihr zu verlieren. Und das macht meiner Ansicht nach einen nicht gerade unerheblichen Teil eines guten Romans aus.