Die Königin der Drachen – George R.R. Martin

Die Königin der Drachen – George R.R. Martin

Wer glaubt, der letzte Teil wäre in seiner Kunstfertigkeit nicht mehr zu überbieten, wird nun vom Gegenteil überzeugt. Der letzte Band verhieß es bereits: Fantasy-Literatur aller erster Güte, spannend bis zum Ende, niederschmetternd, aufwühlend und hinreißend zugleich, immer für eine Überraschung gut, an Genialität nur schwer zu überbieten.

Der berühmt berüchtigte Band, der bezeichnend für seine exponentiell steigende Anzahl an Toten ist, erfüllt seinen Ruf absolut. Die magischen, königlichen Blutegel entfalten ihre gesamte Wirkung und der große Autor zeigt sich erneut unnachgiebig sowie erschreckend grausam, was das Hinsterben seiner Figuren anbelangt. Er lehrt uns unter anderem, dass Hochzeiten der Gesundheit nicht sonderlich förderlich sind ,wovon Joffrey, Edmure, Robb, Catelyn und Lysa Arryn aus der vordersten Front berichten und aus tiefster Seele beklagen können. Tyrion blickte dem Sensenmann ebenso ins Gesicht, umgarnt von Cerseis Machenschaften, denunziert und verleumdet, der Ablehnung seines Vaters und des ganzen Hofstaates gewiss. Und so sehr wir seinem Ende entgegen bangen, sollte uns eines immer im Hinterkopf bleiben: Ein Lennister begleicht seine Schulden. (Schon wieder ein Satz, der den Band prägt. Herr Martin liebt unsterbliche Sätze.)

Eben aus diesen Gründen erwische ich mich dabei, wie ich nach bestimmten Kapiteln einfach weiter blättern möchte, um zu erfahren, was sonst noch geschieht, gleichzeitig ergreift mich jedoch auch das Verlangen, die Geschichte der anderen zu verfolgen, weil sie ebenso faszinierend und fesselnd ist. Und aufgrund der hohen Sterblichkeitsrate, die einfach zum Heulen ist, blätterte ich nicht selten weiter, um zu sehen, ob der Name des Hauptprotagonisten am Ende des Buches noch einmal auftaucht, das ich gebe es zu. Das zeigt gewisser Maßen jedoch nur, wie gut das Buch ist. So gut, dass es einen selbst fast den feierlichen Eid, nur immer das darauf folgende Wort zu ersuchen und kein Seitenspringer zu sein, brechen lässt.

Doch das ändert nichts daran: Wünsche, Ziele und Pläne gehen ein ums andere Mal in Rauch auf, du kannst nicht mehr wissen, wem zu trauen ist, das Intrigieren erreicht seinen Höhepunkt und reißt alle mit sich. Harte Schicksalsschläge prasseln auf die Protagonisten nieder, tragische Wendungen lassen die Handlungen nicht selten in vollkommen neue Bahnen lenken. Fast könnte man meinen, es gelte die Devise: Ich gegen den Rest der Welt. Arya durchstreift weiterhin mit Sandor Clegane die Flusslande pendelt zwischen Hohenehr und Schnellwasser hin und her, zum Ende hin völlig demoralisiert und ohne Glauben daran, zu jemanden zu gehören. Deshalb verlässt sie den Bluthund nicht, fängt gegen ihren Willen an, ihn ein wenig zu mögen, obwohl ihr großteils prinzipieller Hass bestehen bleibt. Ihrer Schwester Sansa geht es nicht anders, wird vom Einen zum Anderen gereicht, weil sie die Erbin von Winterfell ist. An Güte und Aufrichtigkeit glaubt sie nicht mehr. Sie steckt mitten im Spiel um die Throne.

Wird sie in diese hineingezogen, so distanziert sich Jaime immer weiter von ihnen und lässt die Frage aufkommen: Wie wäre er geworden, hätte er mit anderen Personen sein Leben verbracht? Er wird ein immer besserer Mensch, je länger er von seiner ursprünglichen Umgebung entfernt ist, sich dem Einfluss Cerseis und Tywins entzieht, und natürlich, je mehr Zeit er mit Brienne verbringt. Zurück am Hof nimmt er seinen Platz als Lord Kommandant der Garde ein und beginnt sich zu Fragen, wie er ehrenvoll seinen Dienst weiterführen soll. Briennes aufrichtige Treue hat ihn mehr beeinflusst, als er sich eingestehen will. Doch er weiß um ihr gutes Herz, weshalb er sie allein mit einer wichtigen Mission beauftragt und ihr für diesen Zweck sein kostbares Schwert überreicht.

Fernab des Schlachtengetümmels kämpfen sich Bran, Meera und Jojen zur Mauer durch, auf der Suche nach der Dreiäugigen Krähe. Dort lauern jedoch, vor den Toren für aller Mann sichtbar, die Gefahren. Auch die Anderen gehen freien Fußes, wie Sam voller Schrecken erfahren musste.

Jenseits des Meeres geht es nicht ruhiger daher. Obwohl das Buch "Die Königin der Drachen" benannt wurde, erscheinen vergleichsweise wenige Kapitel über Dany, doch sie zeigen unmissverständlich, dass sie eine wahrhaftige Königen ist. Sie lernt, Verantwortung zu übernehmen, und sie erobert nicht um des Eroberungswillens, sondern um etwas zu verändern, ihre Welt zu einer besseren zu gestalten, weshalb sie letztendlich auch ihren Entschluss fasst. Deshalb auch „Die Königin der Drachen“, denn diese stehen für Befreiung, Entfesslung und Lebenskraft. Sie helfen ihr, sich auf die großen Umbrüche vorzubereiten, ihre Seele zu erforschen und ihre Vergangenheit zu bewältigen. Durch diese kann sie ihre Talente zum Nutzen aller entfalten. Vor allem mit ihrer Geschichte kommt Herr Martin auf sein Anfangsziel zurück: Zu zeigen, für welchen Krieg es sich zu kämpfen lohnt, welcher wahrhaftig und aufrichtig ist und welcher nicht, welche Ziele erstrebenswert sind.

Auch Stannis und Davos sind vom gleichen Schlag, ebenso wie Jon Schnee. Nach dem das Massensterben begann, sind ihre Beweggründe am aufrichtigsten und pflichtbewusstesten, obgleich vor allem Jon mit sich zu kämpfen hat. "Du weißt gar nichts, Jon Schnee." Das sagt Ygritte immer wieder aufs Neue. Er weiß nichts über sie, die Wildlinge und deren Geschichte sowie deren Lebensphilosophie. Aber sie weiß im Gegenzug nichts über ihn und Westeros. Was er auch nicht weiß, ist, dass ihn auf der Mauer eine Herkulesarbeit erwartet, welche ihm beinahe noch Kopf und Kragen abverlangen wird, aber er findet zu seinen Brüdern zurück und bleibt seinem Eid treu. Vor allem die letzten Kapitel verschlagen uns auf die Mauer, wo Jon erst aus Richtung Süden, dann aus dem Norden die Tore beschützen muss, ehe die Wildlinge Westeros annektieren. Die Lage verschärfte sich ungemein, und das nicht nur aufgrund der Wildlinge. Völlig übermüdet, dem Zusammenbruch nahe, und als für Jon alles verloren scheint, erfahren sie eben jene Hilfe, nach der sie alle Könige ersucht haben und nie eine Antwort erhielten.

Darin zeigt sich, dass der Zwiebelritter noch immer Einfluss auf den König nehmen kann, ebenso die Tatsache, dass die Sicherheit des Volkes für diesen an erster Stelle steht, wodurch seine Legitimität unter Beweis gestellt wird. Melisandre ist nicht vollends in der Lage, Stannis zu befehligen. Davos gutes Herz trägt vorläufig den Sieg davon. Was R‘hllor und Melisandre sonst noch planen mögen, steht in den Sternen geschrieben.

Und so, wie sich Ereignis um Ereignis auftürmt, kann ich es kaum erwarten, die nächsten Bände zu verschlingen (und zu verdauen), obwohl sie Kritik mäßig nicht hoch im Kurs stehen. Was diesen Band jedoch anbelangt, kann seine epische Wucht (von meiner Warte aus) nur angepriesen und voller Hingabe genossen werden. Er bringt alle möglichen Gefühle in Wallung, ist ideenreich, klug geschrieben und fantasievoll gestaltet. Herr Martin gab genau die richtigen Zutaten in den Topf, um aus diesem Buch ein Meisterwerk zu machen. Fantasy-Liebhaber sind hier richtig, ich kann es nur immer wiederholen und mit dem Zaunpfahl winken.

 

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