Ferne Ufer - Diana Gabaldon

Es ist jedes Mal aufs Neue faszinierend und beeindruckend, wie Diana Gabaldon es zustande bringt, auf verhältnismäßig wenigen Seiten ein halbes Leben mit vielen Facetten, Details und Ereignissen unter zu bringen. Sie beinhalten eine kleine Unendlichkeit, sind dazu auch noch fesselnd, abwechslungsreich, sprachlich genial und erneut recht üppig, lustvoll und mit Emotionen geladen. Ein außerordentliches Lesevergnügen.

Dieses Vergnügen beinhaltet jedoch nicht nur die Geschichte an sich. Gebt es ruhig zu, aber euch kann man wohl auch nicht zu den begeisterten Danksagungs-Lesern zählen. Lieber legt ihr gleich danach das beendete Buch weg und fangt womöglich das nächste an. Ich halte es ebenso. Doch es lohnt sich, auch einmal einen kleinen Blick hinter die Kulissen zu werfen. In dem Moment wird einem schlagartig klar, wie viel Wissen und Hilfe auch von außerhalb einströmt, welche Menschen als Vorbild für die von uns geschätzten Protagonisten gedient haben. Das Fachwissen um die ganzen Arzneien, Sprachen und Naturphänomene kann man sich als einzelner nicht ohne weiteres selbst aneignen. Auch ist es ein Segen, Leute um sich herum zu haben, die einem zudem noch als Inspiration dienen. So wissen wir nun auch, dass Jamie sein Äquivalent in unserer Welt gefunden hat. Aber bitte Haltung bewahren, Ladys! Dieser ist auch ein verheirateter Mann. Die Autorin würde ihn nur ungern mit euch teilen. Das nur vorab.

Der Schlachtenlärm ist verklungen, die Krähen ziehen nun krächzend über den starren Körpern ihre Kreise. Wähnte sich Jamie Fraser vorerst tot und in der Hölle, muss er bald schon feststellen, dass es noch viel schlimmer ist. Er sieht sich einer Zukunft gegenüber stehen, in der seine Männer haben sterben müssen, aber er nicht - die Schuld der Hinterbliebenen - , und der allumfassenden Tatsache, dass er von nun an nur mit der einen Hälfte seiner Seele sein Dasein fristen muss, während Claire das ihre mit einem anderen Mann verbringt. Menschen sind schon aufgrund weniger Lasten auf den Schultern zu Grunde gegangen, aber ihm bleibt keine andere Wahl und so macht er weiter.

Immer tiefer werden wir in Jamies Leben hineingezogen, bekommen seine weiteren Wege unterbreitet, die unfassbar und nicht zu bewältigen scheinen. Bereits der Gedanken daran, 7 Jahre seines Lebens in einer Höhle verbringen zu müssen, nur nachts heimlich auf Jagd gehend, während einem immer nur die selben Bücher zur Seite stehen, lässt einem die Haare zu Berge stehen. Ganz zu schweigen davon, dass seine spätere Inhaftierung fast das kleinere Übel darstellt. Dort beweist Jamie seinen Charme, der auf alle Menschen seine Wirkung entfaltet, erneut, indem er sich mit dem Gefängnis-Meister John Grey anfreundet, der im Laufe ihrer Bekanntschaft hehre Gefühle für den Schotten entwickelt. Zwar tut mir der sympathische Engländer dafür äußerst Leid, doch wurde endlich das herzensgute Pedant zu Jonathan Randall in die Geschichte eingebaut (!), welches Jamie auch in den kommenden Jahren eine große Stütze sein wird.

Seine Gefängniszeit besaß noch ein weitere schmerzliche, aber wichtige Erfahrungen: Jeder Menschen ist das, wozu er gemacht wurde. Nicht mehr und nicht weniger. Es ist die Veranlagung eines jeden, die sich irgendwann Bahn bricht. Sei es Schicksal oder nicht. Und so fand Jamie seine Bestimmung wieder. Der Funke ist zum Inferno entflammt und leuchtet ihm den Weg.

Bis hierhin ließ sich das Geschehen einwandfrei und mit einem Mal verschlingen, anders verhielt es sich daraufhin jedoch mit den kommenden Seiten. Sie ließen widersprüchliche Gefühle aufkommen, das Blut immer wieder aufkochen und das Gemüt nicht beruhigen. Jamies Aktion und deren Folge lassen einen in Wallung geraten. Am liebsten hätten ich ihn an den Ohren hinter mir her geschleift und über den Zaun gelegt, um seinen Hintern deftig zu versohlen. Ebenso empfand ich Claire gegenüber, deren späteres Leben uns in Fragmentstücken zusammengestellt wird. Obwohl sie Frank nicht mehr lieben konnte, verließ sie ihn nicht, ebenso wenig wie er sie aus reinem Pflichtbewusstsein. Während diesen Szenen wurde mir Frank immer unsympathischer, verhielt er sich doch etwas egozentrisch und besitzergreifend, was Brianna anbelangte. Dabei kann er nicht einmal wirklich etwas für sein Verhalten, wurde er doch selbst sehr verletzt. Noch schlimmer: Es ist gerechtfertigt und er schlägt nur um sich, weil seine Frau einen anderen liebt. Dafür tut er mir aufrichtig leid.

Auch das Handeln von Jenny, Jamies Schwester, ist durchaus nachvollziehbar. Wer möchte schließlich diejenigen, welche man liebt, einsam und verlassen sehen? Deshalb drängt sie ihn erneut zu heiraten. Es macht einen rasend, Jennys Beharrlichkeit in dieser Angelegenheit zu sehen und dabei im vornherein zu wissen, dass Claire zurückkehren wird. Es kommt einem so vor, als würde Jamie damit Claires Andenken beschmutzen (wie andersherum auch) und sie betrügen.

An diesen Stellen wollte ich selbst nicht im Buch weiter lesen, um auf Jamie und die anderen in Ruhe zornig sein zu können. Vor allem war es mir egal, ob sie eine Entschuldigung vorbringen konnten oder nicht. Einfach in Ruhe sauer sein und sich seinen irrationalen Gefühlen hingeben können. Das ist menschlich aber falsch. Und ich glaube, dass genau dieser Punkt mit eine der Kernaussagen des Buches ist: Wir können niemals nachvollziehen, was andere haben durchmachen müssen, wie sehr Umstände und Gefühle sie prägen. Jeder besitzt seine ganz eigenen Gründe, um in einer gewissen Weise zu handeln und agieren. Warum nehme ich/ wir mir/uns dann das Recht heraus, jemanden zu verurteilen? Wer kann schon sagen, was er selbst in dieser Situation tun würde? „Urteile über niemanden, in dessen Mokassins du nicht gelaufen bist.“, so die indianische Volksweisheit. Und dann denke ich an Jamie, der ein so großes Herz besitzt, dass er trotz seines Hasses seinen Feinden sowie auch anderen gegenüber Nachsicht zeigt und Verständnis aufbringt. Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. Es gibt eben nicht nur schwarz und weiß.

Währenddessen herrschen rege Reisevorbereitungen, bei denen Brianna und Roger regen Anteil nehmen, nachdem die letzten Recherchen zur vollen Zufriedenheit gesammelt worden sind. Theoretisch steht dem Wiedersehen nichts mehr im Weg. Claire wird nichts desto trotz vor eine schwere Entscheidung gestellt. Die innerer Zerrissenheit lässt sie schwanken, aber egal, wie stark an ihrem Herzen gezerrt wird, obsiegt letztendlich die Liebe zu Jamie. Wenn man einmal die Liebe seines Lebens gefunden hat, will sie einen nicht mehr los lassen. Für Claire gibt es keine andere Wahl, so meint sie. Doch das ist das berührende und fesselnde an der ganzen Sache. Sie hätte durchaus eine andere treffen können, aber ihr Herz rebelliert gegen eine weitere Möglichkeit auf. Entweder er oder nichts. Das ist ihr vorherbestimmter Weg, die einzige Option, mit der sie noch leben kann.Nicht aus den Augen verlieren sollte man jedoch den Umstand, dass es ebenso viel Stärke und Liebe bedarf, seine Mutter, die Person, die einem mit am wichtigsten ist, gehen zu lassen.

So tritt Claire nun mehr ihre dritte Zeitreise an und begibt sich voller Vorfreude, Erwartungen sowie zitternden Händen und bangem Herzen nach Edinburgh, wo Jamie sein gefährliches Leben wie ehedem führt. Waren es zuvor noch Rinder, wandte er sich mittlerweile prekäreren Schmuggelwaren zu. Auch als Drucker nahm sein Leben brisante Formen an, veröffentlichte er doch politisch kritische und aufrührerische Beiträge der radikalen Schriftsteller. Der Beichtvater war entrüstet, als er von Jamies Tätigkeiten der letzten Monate hörte. Wenn dieser, um für all seine „Sünden“ Absoluten zu erhalten, beten müsste, säße er wohl noch immer hier. Ihm ist kein ruhiges Leben beschieden. Auch für Claire sollte es sich bald ändern. "Nun hatte mich das Schicksal - nicht ohne mein Zutun - von alledem losgerissen, und ich fühlte mich, als triebe ich in der Brandung, Kräften ausgeliefert, die viel stärker waren als ich."

Wie auch zuvor schon bemerkenswerte Persönlichkeiten unsere Wege gekreuzt haben, wartet die Autorin auch dieses Mal wieder mit starken Charakteren auf. Und die kommenden Abenteuer sollten auch nicht lange auf sich warten lassen. Ihr Leben nahm den Lauf wie zuvor, als hätte sich in den zwanzig Jahren ihrer Trennung nicht das geringste geändert. Und doch merkte man spürbar die Anspannung. Jamie verbirgt seine Gedanken vor Claire und ist oftmals mit dem Geist ganz wo anders. Ob es der Tatsache geschuldet ist, dass er so viele Jahre auf sich allein gestellt war, kann ich nicht sagen. Und doch haben sie eindeutig ihre Spuren in seinem Herzen hinterlassen.Verständlicherweise. Die beiden müssen sich mit dem Umstand befassen, dass sie einander eben doch nicht mehr so gut kennen wie früher, sich fernab von einander weiter entwickelt haben. Auch steht ganz viel Unausgesprochenes zwischen ihnen, wie eine dritte Person, welche sie auseinanderzubringen versucht. All das staut sich an. Auch von außerhalb sollte ihre Zuneigung stark auf die Probe gestellt werden.

Da stellt sich einem die Frage: Wie stark muss eine Liebe sein, damit sie auch die größten Fehler und stärksten Belastungen überstehen kann? Viel mehr, wie intensiv muss sie sein, damit die größten Verfehlungen lediglich die Angst aufkommen lassen, sein Partner wolle einen nicht mehr. Da reicht eine einfache, körperliche Anziehungskraft nicht aus. Dass die Beiden viel mehr verbindet, wird deutlich klar gemacht. Manche nennen es Seelenvierwandschaft, andere zhi yin, doch egal, wie man es bezeichnen mag, am Ende raffen sie sich wieder zusammen. Und die Reise nimmt ihren Lauf.

Mussten sie sich noch zuvor mit den Auswirkungen des gescheiterten Jakobitenaufstandes und dem anhaltenden Kampf um Schottlands Unabhängigkeit auseinandersetzen, sehen sie sich bald gezwungen, ihre gewohnte Umgebung ein weiteres Mal zu verlassen. Auf der Jagd nach dem geraubten Ian junior, verfolgen sie schon bald die Piratenflotte Bruja nach Osten, über den gesamten Atlantischen Ozean hinweg. Auf einmal entwickelt sich der Roman weiter zu einem Karibikabenteuer, wobei der wasserscheue Schotte ganz auf seine Kosten kommt. Erneut werden kuriose Kontakte geknüpft, alte Freunde getroffen und andere Nationalitäten in das Geschehen einbezogen. Dadurch zeigt sich einem die Komplexität und Vielfältigkeit, da jedes Land bezeichnend über all die Jahrhunderte hinweg ist. Rieten und Praktiken der Nationen werden aufgeführt, verschiedene Blickwinkel gezeigt. Ein multikultureller Schmelztiegel. Aber auch die fremde Umgebung samt ihrer Naturphänome besitzt einen besonderen Reiz, muss Claire sich kurzzeitig allein durch das unbekannte Land kämpfen. Vor allem aber sind sie noch immer auf der Flucht vor der englischen Flotte. Ein Wettschiffen, das am Ende des Buches seinen Höhepunkt erreichen und erneut ihr ganzes Leben verändern sollte.

So facettenreich und vielseitig, informativ und gefühlvoll, spannend sowie berührend und humorvoll kann ich den Band nur empfehlen. Vor allem für diejenigen, welche einen dicken Schmöker nicht verachten, ist ein Handgriff nicht verkehrt und sehr lohnenswert. Der Roman ist alterlos, vollbringt es, Menschen über Kontinente hinweg zu verbinden, zeigt, dass das Leben aus vielen zufälligen Kontakten besteht und das Alter nur bedingt von der Biologie abhängig ist. Manchmal reicht es schon aus, sich in eine Geschichte fallen zu lassen, den Nervenkitzel zu spüren, die raue Seeluft zu inhalieren, in die Achterbahn der Gefühle einzusteigen und sich stets aufs Neue faszinieren zu lassen, um den Hauch von Frische und Elan in seinem Herz Willkommen zu heißen. Alle Achtung.

 

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