Die Highland-Saga Band 2
Zweihundert Jahre. Zwei Jahrzehnte. Diese schicksalsträchtigen Zahlen haben es der Autorin wohl angetan. Denn befanden wir uns zuvor noch in Frankreich des 18 Jahrhunderts, überbrücken wir nun 220 Jahre und gelangen wieder nach Schottland. Dorthin, wo alles begann. Zwar steht Claire nicht alleine da, doch dieses Mal ist es nicht der feurige Hochlandschotte, der ihr stets den Rücken frei gehalten hat, sie inniglich liebte.
Nein, vor uns erblicken wir eine normale, junge Frau mit roten Haaren und einem ebenso aufbrausenden Temperament, wie das ihres Vaters. Nur weiß diese nichts von ihm, da Frank Randall sie wie seine eigene Tochter aufgezogen hat. Was ich jedoch auch hier sehr bedauer, ist der Umstand, dass Frank wiederholt nur kurz thematisiert wird. Jede Handlung zieht seine Konsequenzen nach sich. So eben auch diese, doch erfahren wir leider nichts darüber.
Nach dem Tod ihres Ehemanns beschließt die erfolgreiche Ärztin Claire sich nach langem Hadern dazu, herauszufinden, ob die restliche Familie Fraser bei der Schlacht um Culloden umgekommen ist und erbittet deshalb den Neffen des alten Reverend Wakefield‘s, Roger, Recherchen über deren Ende einzuholen. Begeistert davon, seine schmerzliche Aufgabe noch etwas aufschieben zu können, schmeißt er sich ins Papier-Getümmel und begibt sich auf die Jagd nach der Wahrheit, auf die er nach unermüdlicher Recherchearbeit auch stoßen sollte. Später würde auch ihm selbst noch manches offenbart werden, was dem Spannungshaushalt der Geschichte noch einmal einen ganz schönen Aufschwung geben sollte.
Und so kommt das Eine zum Anderen, und Claire sieht sich plötzlich mit der Vergangenheit konfrontiert, unfähig dazu, ihrer Tochter noch länger etwas vorzumachen. Saßen wir gerade noch mit der älteren Ausgabe Claires sowie ihrer ungläubigen Tochter Brianna und Roger am Kamin, sehen wir uns nun den Auswirkungen der Schwangerschaft gegenüber, welche ihr jüngeres Ich heimsuchen. Auf einmal ist es nur noch ein Katzensprung zwischen dem ersten Buch und diesem, wobei wir in diesem Fall mit ihren Gedanken reisen, ihrer Geschichte lauschen und erfahren, wie es dazu kam, dass ihre Wege sich von denen Jamie‘s trennten.
Zusammen mit Jamie wird Claire in die Welt des französischen Fürstenhofs eingeführt, wo diniert, getanzt, kalkuliert, getrunken und nebenbei intrigiert wird. Wir sehen uns Salons, Abendgesellschaften, Bällen, Königen, Geschmeide, Prunk und vor allem Elend gegenüber. Und eine Devise darf man unter keinen Umständen vernachlässigen: Traue Niemandem, außer einander. Diese Szene stellt einen extremen Kontrast zu der Natürlichkeit der schottischen Natur und der beschaulichen, familiären Atmosphäre Lallybrochs dar. Doch die beiden haben triftige Gründe dafür, ihre Maskerade aufrecht zu erhalten, sich bei den hohen Würdenträgern unverzichtbar und beliebt zu machen, obwohl es Claire recht schnell genug wird und sie für ihre Recht kämpft und nicht klein bei gibt, um sich dadurch zu ermöglichen, ihrer Berufung nachzugehen.
Die ganze Zeit über sehen sich die Beiden der großen Frage gegenüber stehen: Was wäre, wenn...? Die historischen Geschehnisse rücken jetzt in den Vordergrund (weshalb ich erst einmal auf die emotionale Ebene eingehen werde), spinnen Fäden in alle möglichen Richtungen, doch am Ende treffen sie an einem Punkt, dem Mittelpunkt, zusammen. So wie bei einem Spinnennetz. Uns werden die Geschehnisse und Komplexität der Vorgänge des Jakobitenaufstands in mannigfaltigen Facetten zu einem umfangreichen Bild zusammengestellt. Auch ist es bemerkenswert, wie Diana Gabaldon vorherige Romanabschnitte und Details in die kommenden Handlungsstränge einflechtet, vor allem aber darauf aufbaut und dem Geschehen unerwartete Wendungen gibt.
Außerdem wird einem das sexuelle Leben der beiden nicht mehr wie auf dem Silbertablett serviert, sondern spielt vergleichsweise nur noch eine dezente Nebenrolle, was der Individualität der beiden im Laufe des Buches mehr Würze verleiht und sie noch besser zur Geltung bringen lässt. Damit tat Diana Gabaldon ihrem zweiten Buch einen großen gefallen. Jamie lernte endlich, dass Liebe und Begehren beim Sex zwei unterschiedliche Wertigkeiten besitzen, nicht gleichzustellen sind, und beide wurden so auf eine neue Gefühlsebene katapultiert, die viel intensiver und inniger ist, als je zuvor. Natürlich dürfen dabei auch Auseinandersetzungen nicht fehlen, denn sie stellen zum Teil das besondere Bouquet, den Esprit der Geschichte dar, sind unterhaltsam, ausgefallen, feurig und meist sehr sinnig. Oftmals müssen sie sich selbst ein Lächeln verkneifen. Und ich bewundere sie dafür, trotz ihrer hitzigen Temperamente nie lange sauer auf einander sein zu können und sich auch in den Zeiten beistehen, in denen sie sich hintergangen und verletzt von einander fühlen. Solch ein Moment sollte auch kommen und sie auf die Probe stellen.
Vielleicht war es ihrem gemeinsamen Ziel zu verdanken, welches sie im Nachhinein wieder fest aneinander geschweißt hat, doch es ließ sie stärker werden. Man konnte die Protagonisten reifen und erwachsen werden sehen, wobei es wirklich bitter ist, wenn man bedenkt, warum sie es so schnell haben werden müssen. Da ist so viel Schmerz, dass man sich fragt, wie sie überhaupt weiter machen können, welcher Kraft es bedarf, nicht zusammen zu klappen. Wo viel Gefühl Zuhause ist, herrscht auch viel Leid. Und von beidem besitzen sie reichlich. Der Schwung und ihre Unbeschwertheit aus dem ersten Buch schwanden Stück für Stück. Wir sehen uns Menschen gegenüber gestellt, die gefehlt haben, verletzt worden sind und die Bürde des Lebens, aber auch die Momente der Glückseligkeit in all seiner existenziellen Wucht erlebt haben. Vielleicht baute die Autorin so viel von den Schrecken dieser Zeit ein, weil Claire am Ende des Buches Kritik an manchen Künstlern und Historikern übt, welche die Fakten verklären und sie von ihrer zeigen rosigen Seite zeigen.
Umso bemerkenswerter ist es, dass die Beiden dennoch die gesamte Zeit über ihren Witz beibehalten haben, störrisch den Kopf gehoben ihres Weges gehen und in den unmöglichsten Situationen und unter großem Druck ihre Schlagfertigkeit bewahren. Man kann sich wunderbar die Lunge aus dem Leibe brüllen, weil der Humor voller Ironie, Kreativität und Gewitztheit steckt, dass man stets aufs Neue überrascht wird. Manchmal wusste man nicht, ob einen Entsetzen übermannen müsste, oder man vor Lachen vergehen sollte. Es fängt schon bei solchen Wortgruppen wie „behaarte, halbnackte Todesfeen“ an, die einen losprusten lassen. Diana Gabaldon bewegte sich auf einem schmalen Grad, welcher der Geschichte sein besonderes Flair verleiht.
Aber der Wind weht eben nicht nur aus der emotionalen Richtung. Auch historisch betrachtet setzt sie hohe Maßstäbe. Es wurde so gut recherchiert und geschrieben, dass ich mich manchmal fragte, wo die Wahrheit endet und die Fiktion beginnt. War der Band zuvor noch ganz nett, entwickelt sich jetzt eine richtige Sogwirkung. Dieses Buch konnte mich wirklich von der Autorin überzeugen und endlich richtig auftauen lassen.
Es dauerte eine ganze Weile, ehe Jamie und Claire sich von Bonnie Prinz Charles, der per Du mit dem Schotten steht, genötigt sehen, wieder nach Hause zu schiffen. Da sie glauben, ihr möglichstes getan und eine Invasion von Schottland durch den Prinzen verhindert zu haben, gestatten sie sich endlich, nach Lallybroch aufzubrechen und ein ruhiges Leben zu starten. Aber die Angst und das Wissen um das kommende lassen ihnen keine Ruhe. Ob des Prinzen Pläne scheitern oder nicht, stellte sich erst später raus. Aber Jamie steckt natürlich wieder mitten drin. Und Claire mit ihm. Galt es zuvor herauszufinden, was passieren würde, wenn sie die Jakobiten nicht sabotiert sondern unterstützt hätten, bleibt ihnen im Nachhinein keine Wahl mehr. Dabei schwebte kontinuierlich die Frage im Hinterkopf, ob in ihrer Zeit alles wie gehabt sei, oder eben nicht. Zudem reichen zwei Menschen, egal wie stark ihre Liebe und ihr Wille ist, vielleicht einfach nicht aus, um ein Land aus seinen Angeln zu heben, seien sie auch noch so engagiert. Doch die Frage, inwiefern ihr Scheitern sich offenbaren würde, blieb lange offen. Dabei war es dennoch von Anfang an faszinierend, die geschichtlichen Belange mit den Ereignissen im Buch abzugleichen, woraus man manchmal schließen konnte, welche Richtung das künftige Geschehen einschlagen wird, oder ob irgend wann noch eine Wendung von Nöten ist.
Vor allem Claire sah sich die ganze Zeit dem Ungewissen gegenüber stehen, nichts ahnend, worauf die Ereignisse durch ihr eingreifen hinführen werden. Sie ist trotz ihres Wissens mit Blindheit geschlagen und der Gedanke, inwiefern sie Schuld am Ausgang der Situation besitzt, bereitet ihr viel mehr als nur Kopfschmerzen. Der Gedanke, Jamie mit ihrem Eingreifen eventuell geschadet zu haben, trifft sie so hart wie Peitschenhiebe. Ihre inneren Wunden sind so tief wie die auf Jamies Rücken.
Im Endeffekt brachten ihr ihre Informationen nur bedingt etwas, da sie den Lauf der Zeit verändern wollte, zu etwas, dass nicht geschehen ist. Und da ihr bereits die gesehenen Ereignisse nur in groben Zügen vorlagen, sie letztendlich immer das Endresultat vor Augen hatte, konnte nie mit Gewissheit gesagt werden, ob ihr Handeln die eine oder die andere Reaktion herauf beschwört. Schlimmer noch. Stellt euch einmal vor, in der Vergangenheit das Künftige ändern zu wollen, unwissend darüber, ob euer Eingreifen nicht just zur bestehenden Ausgangslage führt. Dann wäre es womöglich euer Verschulden gewesen, dass die Geschehnisse sich so befinden. Doch die beiden wussten es nicht. Und so kann jeder nur sein Bestes geben, seinen Beitrag leisten. Es bleibt einem nichts anderes übrig, als zu handeln.
Aber ihr Zutun reicht nicht, zu eben jenem Schluss auch Jamie gelangte, weshalb die geliehene Zeit auf ihr Ende zurast. Ihr Fundament unter den Füßen weggerissen, werden ihnen tiefe, blutige Wunden zugefügt. Wir sind wieder in der Gegenwart angelangt, viele Jahre liegen zwischen ihrer letzten Begegnung. Wie Irrende, die seit Jahren auf See sind und sich auf der sehnlichen Suche nach der Heimat befinden. Land ist in Sicht. So, wie Claire durch den Steinkreis gefallen ist und es ihr komplettes Leben umgekrempelt hat, erfüllt die Offenbarung Rogers die gleiche Wirkung auf sie. Und wieder können wir uns auf eine Fortsetzung gefasst machen und der Begegnung freudig entgegen fiebern.