Am Ende sind Depressionen in einigen Fällen lediglich ein Indiz dafür, dass diesen Menschen ihre Umwelt nicht egal ist und sie mit dem, wie es momentan aussieht, nicht zufrieden sind, was häufig auch auf die eigene Person zurück geworfen und projiziert wird.
Die Welt steckt voller Schrecken, Leid, Elend und Hass, ist aber auch gefüllt mit Freude, Liebe, Hoffnung und einem Gemisch aus allem und mehr. Dennoch frage ich mich immer wieder, warum all die Gewalt sein muss, Unterdrückung, Verfolgung, Mord, Diskriminierung, Faschismus, soziale Ungleichheit, Ausgrenzung, Selbsthass, Magersucht, Krieg, sexueller Missbrauch, Hungersnot, Massentierhaltung, Abholzung, Umweltverschmutzung (und die weiteren Ellen an Aufzählungen). Und man kann allein nahezu meist nichts davon ändern. Irgendjemand zieht immer seine Vorteile aus dem Elend anderer, möchte ihnen nicht helfen, diese Lebewesen als gleichwertig ansehen. Im kleinen beginnt es explizit bei den Menschen schon dabei, diese aufgrund ihrer Nationalität, ihrem Geschlecht, ihrer Religion oder ihrem äußeren Erscheinen zu demütigen, sie herabzuwürdigen und zu tyrannisieren. Diese unzähligen, tiefen, für niemand sichtbaren Narben… Und keiner meiner Mitschüler hielt Beleidigungen für einen Akt der psychischen Gewalt... Die Frage ist doch, wer noch.
Stets müssen Lebensumstände, die Gefühlswelt und Erfahrungen einbezogen und intensiv betrachtet werden, ehe ein ungefähres Urteil gebildet, Forderungen ausgesprochen werden können. Und doch bekommen die Menschen letztendlich auf ihrem Gebiet die selben Anforderungen gestellt, sodass die Personen zu einer homogenen Menge zerfließen und Gesichtslos sind. Wir erwarten von anderen meist das selbe, was auch wir zu leisten haben, oftmals noch mehr. Wir verurteilen Ihre Ansichten, Werke, Tätigkeiten, da sie nicht den unseren entsprechen. Toleranz und Aufgeschlossenheit gehören bei vielen höchstens zum Vokabular, doch wirklich etwas damit anzufangen wissen sie nicht. Nachsicht und Verständnis sind auch eine Rarität, die man allenfalls im Zoo bestaunt, nicht aber in den Alltag Einzug finden lässt. Warum versuchen wir stets das Innerste einer Person anzugreifen, sie dort so lange zu treffen, bis es zerbricht? Steter Tropfen höhlt den Stein...
Wie können wir mit diesem Wissen jeden Tag aufstehen und uns vollends dem Alltag hingeben, ohne verrückt zu werden? Noch mehr, wie kann es sein, dass unser Abwehrmechanismus so weit ausgeprägt ist, uns dagegen immer weiter abstumpfen zu lassen? Wir verdrängen das Ausmaß des Wissens, wollen daran nicht erinnert werden. Das erinnert mich an Remarque, der sagte, er wolle denken und im selben Augenblick sei es eben das, was er unter gar keinen Umständen wünscht, zu tun. (I want to think and at the same time that‘s the last thing in the world I want to do.) Mir scheint es indes eher, dass wir die Eindrücke nicht fühlen wollen, ihre meist niederdrückende, unerträgliche Last. Und doch heißt es, intelligente Menschen neigen stärker zu Depressionen. Diese Aussage geht aber nicht darauf ein, welche Art der Intelligenz gemeint ist: Handlungsintelligenz, soziale, musikalische, linguistische, intrapersonelle, naturalistische, … oder bildliche Intelligenz? Oder jede einzelne für sich? Und warum? Weil sie die Tragik hinter dem Leben aus verschiedenen Perspektiven erkennen? Oder weil sie das Interesse dafür aufbringen, weiter nachzugraben? Oder weil sie in ihrem unvollkommenen Wissen ihre Nichtigkeit erblicken? Oder weil sie ohne geballte Einheit nichts zu ändern vermögen? Oder weil die Leidenschaft meist Hand in Hand mit Schmerz geht? So viele oder, obwohl dort eigentlich „und“‘s stehen können... Dennoch kann jeder mit dem Herz fühlen, was der Verstand nicht mehr zu begreifen in der Lage ist.
Ein letztes noch. Menschlichkeit wird als eine hehre Tugend angesehen; als Synonyme werden Nächstenliebe, Mitleid, Erbarmen, Menschenliebe und Barmherzigkeit aufgeführt. Wir, alle zusammen, bilden die Menschheit, aber meine Eindrücke von der Welt lassen sich damit nicht vereinen. Die Mehrheit müsste diese Tugenden besitzen und dabei ist es nur ein Staubkorn in den Weiten des Alls. All die Begriffe stellen nur ehrwürdige Ideale dar, nach denen wir streben, aber nie vollends erreichen, was die meisten anbelangt. Ich kenne nur einen Menschen, auf den diese Begriffe hundertprozentig und ohne Einschränkungen zutreffen, was ein schieres Wunder darstellt. Was mir diesbezüglich jedoch am meisten zu denken gegeben hat, waren die Worte eines guten Freundes, der sagte, diese Person sei zu gut für die Welt.
Wir müssen nicht perfekt sein, nicht einmal all diese hohen Erwartungen erfüllen, denn das ist für die große Mehrheit nicht stemmbar, doch sollten wir nicht wenigstens versuchen, uns ihnen immer weiter anzunähern, um gute Menschen zu sein? Es gibt viele Leute, die sich darum bemühen und großteils ein gutes Herz besitzen, wofür jedes dankbare Wort nicht eins zu viel ist. Aber es gibt auch solche, die durch ihr kleines Fenster in die Welt schauen, einen langen Tunnel daran gebaut und niemals nach links oder rechts blicken, sich in ihrer Sichtweise gefallen. Manchmal scheint es mir, als schreien wir beim Diskutieren eine Wand an, taub für andere Meinungen. Andersherum ergeht es ihnen wohl häufig auch so.
Dadurch sollen sie sich keinesfalls angegriffen fühlen. Und im selben Moment ist genau das doch der Fall, wenn sie sich ebenfalls nicht nur mit dem Verletzten, sondern in gewisser Weise auch mit dem Kollektiv identifizieren.