Kabale und Liebe – Kammerdienerszene II; 2 / Reclam S. 31, Z 21 – S. 33, Z.18
Wer glaubt, an absolutistischen Höfen herrsche nur Prunk und Gloria, liegt falsch. Je strahlender das Licht scheint, desto tiefer wird der Schatten. Zumindest trifft diese Aussage vollkommen auf die deutschen Fürstenhöfe zu, da sich einem die Frage stellt, wie die Fürsten es zustande gebracht haben, ihre Gefolgschaft von rund 2000 Mann zu finanzieren, weiterhin an die 600 Pferde, überladene Feste mit Riesenfeuerwerken im Wert von 50000 Florin, außerdem die üppigen Festmahle, Geschenke sowie tägliche Unterhaltungen, von der seidenen, vor Strass glitzernden Kleidung ganz zu schweigen. Und um eben jene Einnahmen zu beschaffen, krümmten sie gerade nur den Zeigefinger. Im Drama „Kabale und Liebe“ setzt sich Friedrich Schiller 1784 in der Kammerdienerszene mit eben jener Problematik des politisch-gesellschaftlichen Systems des Feudalabsolutismus sowie der Willkürherrschaft und Ausbeutung des Volkes auseinander. Sie gilt als politische und zu dieser Zeit aufrührerische und sensationelle Szene des Dramas.
Lady Milford, in voller Euphorie darüber, ihren Platz als Mätresse des Fürsten losgeworden zu sein und im Austausch dessen den Mann ihrer Träume, Ferdinand von Walther, der Sohn des Präsidenten, ehelichen zu können, wartet voller Ungeduld auf seine Aufwartung. Dieser führte jedoch einen heftigen Disput mit seinem Vater, da er sich vehement weigert, diese zu heiraten, liebt er doch das bürgerliche Mädchen Luise Millerin. Dieser Umstand ist dem Präsident jedoch gleichgültig, erhofft dieser sich doch, mit der Eheschließung Lady Milfords und Ferdinands, mehr Macht über den Fürsten zu erlangen. Geschickt eingefädelt, so denkt er sich. Doch das entspricht nicht ganz der Wahrheit, da die Lady alles daran gesetzt hat, die Ehe mit Ferdinand zu arrangieren. Und ihr Vorhaben ist geglückt, weshalb sie beseelt auf seine Ankunft wartet.
Das Warten wird jedoch durch den alten „Kammerdiener des Fürsten“ unterbrochen, der ihr ein Schmuckkästchen bringt. Es soll das Geschenk, „Brillanten zur Hochzeit“, sein, welches „seine Durchlaucht der Herzog“ ihr aus Venedig kommen ließ. Schon jetzt zeigen sich dessen horrenden Ausgaben, was durch Lady Milfords Reaktion, als sie das Kästchen öffnet und erschrocken zurückfährt, nachdrücklicher verdeutlicht wird. Ganz entgeistert fragt sie den Bediensteten, was der Herzog für „diese Steine“, die kostbaren Brillanten, zahlte, woraufhin dieser „mit finstrem Gesicht“ antwortet, dass er nichts hatte bezahlen müssen. Die Lady kann das jedoch nicht glauben, wirft ihm vor, rasend zu sein, nicht ganz bei Sinnen. Doch nachdem er ihr einen vernichtenden, bohrenden Blick zuwirft, gibt sie nach und fragt erneut, kann diesen Umstand allerdings noch immer nicht realisieren, will ihn nicht wahrhaben. „Nichts kosten ihn die unermesslich kostbaren Steine?“
Ernst, sich vor ihr nicht unterwürfig zeigend, sich ihre von Angesicht zu Angesicht zuwendend, offenbart er ihr, wie der Adel, der Herzog seine Verschwendungssucht finanziert: Er schickte „siebentausend Kinder nach Amerika fort“, verkaufte sie als Söldner. Sie müssen von nun an im Krieg kämpfen, tobt doch dort zu dieser Zeit der Unabhängigkeitskrieg. Die Lady, ganz entsetzt, gar angewidert vom Gehörten, „setzt den Schmuck nieder“ und entfernt sich ein Stück vom Kammerdiener, welcher sich die Tränen von den Augen wischt. Sie kann diese Tatsache nur schwer verdauen, will Abstand zu alldem gewinnen, aber der Anblick des zitternden Mannes lässt sie nicht kalt. Sie fragt, was mit ihm los sei, erinnert ihn indirekt daran, dass er ein Mann ist, welcher nicht weint. Mit ihren etwas harschen Worten versucht sie ihre Unsicherheit zu kaschieren.
„Mit schrecklicher Stimme“ antwortet er, dass auch ein paar seiner Söhne unter den 7000 Verkauften stecken, dass er sie an den Krieg verloren hat, ohne eine Wahl besessen zu haben. Und nun sieht er die Edelsteine, den Grund für all das Leid und kann dennoch nichts weiter ausrichten, ein Sklave seiner Verpflichtung.
Lady Milford jedoch will noch immer nicht glauben, dass der Adel zu etwas so schrecklichen in der Lage sei, will die Hoffnung nicht verlieren, ihrer Art, ihrem Wesen bei dem Herzog, dem Fürsten etwas ausgerichtet zu haben. Sie fragt, ob die Söhne freiwillig gegangen seien, keine dazu Gezwungenen. Daraufhin lacht der Kammerdiener fürchterlich, voller Schmerz, und setzt zu einen längeren Dialog an. Seine Stimmer trieft vor Sarkasmus, tut er sich damit doch am Meisten weh. So sagt er, es seien lauter „Freiwillige“. Weiterhin offenbart er, dass die „vorlaute[n] Bursch[en]vor die Fronten heraus [traten] und fragten“, wie viel der Fürst für das Verkaufen von Menschen verdiene. Dieser fackelte nicht lang und ließ alle Regimenter aufmarschieren, welche die Jungen niederschossen. Dies geschieht mit all denen, die Kritik ausüben, und noch immer tun. Tod oder Tod, dazwischen gibt es nichts.
Voller entsetzen über das Berichtete muss sich Lady Milford erst einmal niedersetzen. Immer wieder ruft sie „Gott! Gott!“ Sie kann sich nicht vorstellen, davon nichts mitbekommen zu haben. Aber der Fürst hat ihr alles verschwiegen, weshalb sie sich unschuldig und hintergangen wähnt. Diese Vorstellungen und Gedanken weist der Kammerdiener jedoch rigoros zurück, entreißt sie ihrer Traumwelt, wirft er ihr doch vor, dass sie nicht mit dem Fürst auf Bärenhatz hätte gehen müssen, „als man den Lärm zum Aufbruch schlug“. Er lastet ihr an, ebenso grausam zu sein wie der restliche Adel, welcher sich an der „Herrlichkeit“ ergötze, die Bauern und Bürger bluten zu sehen, Familien auseinander zu reißen, Kinder als Waisen zurückzulassen. Kurzum, ein System des Terrors und Schmerzes zu unterstützen. Für Frauen und Kinder ist es schlimm genug, ihren Männern bzw. Vätern hinterher zu schauen, wissend, diese nie wieder zu sehen. „Heulende Waisen [verfolgen] einen lebendigen Vater.“ So wird den Hinterbliebenen zusätzlich noch die Chance auf ein Leben verwehrt, muss die Frau ab jetzt selbst für ihren Unterhalt sorgen, an einem Ort und zu einer Zeit, das dies nahezu unmöglich ist.
Nicht einmal ihr Glaube wird ihnen gelassen. Ihnen wird so viel zugemutet und zugesetzt, dass ihnen nicht einmal mehr eine freie Minute zum Beten übrig bleibt. Die Ausführungen des Kammerdieners stellen eine einzige, allumfassende und doch nur in Bruchstücken vorgestellte Anklage gegen dieses menschenverachtende System dar. Durch deren Wucht verfehlt die lange Ansprache jedoch nicht ihren Zweck und bewegt die Lady zutiefst. Sie ist bestürzt und möchte von den Edelsteinen nichts mehr wissen, sieht die „Höllenflammen“ in ihnen blitzen. Darin offenbart sich Lady Milfords gutes Herz, was weiter darin verdeutlicht wird, dass sie versucht, dem alten Mann Mut zuzusprechen, ihn glauben lassen will, dass seine Jungen zu ihm zurückkehren. Dieser schwelgt in Erinnerungen, spricht „warm und voll“ zu ihr, erzählt der Lady, was die letzten Worte seines Sohnes waren: „Am Jüngsten Gericht [seien sie] wieder da“, vereint. Sie würden sich erst im Tod wiedersehen, wo der Fürst von ihnen getrennt wird, ebenso wie alle anderen Ungerechten und Tyrannen.
Daraufhin entrüstet sie sich über die Lügen, welcher ihr werden, sie habe alle Tränen getrocknet, das Land gebessert, ihm geholfen. Nicht über das Los des Dieners echauffiert sie sich, sondern über das eigene, was eindeutig zeigt, dass ein Teil von ihr ganz adelig bleibt. Immerhin teilt sie dem Diener jedoch mit, sich persönlich bei dem Herzog für das Geschenk zu bedanken, um ihm nicht zuzumuten, das in ihrem Namen tun zu müssen, wäre dies doch arg bitter. Indes hat sie das Gesagte nicht genug berührt, als dass sie gegen diese Herrschaft aufbegehrt. In ihrem Blick hält sie noch immer Ferdinand gefangen, welchen sie unter keinen Umständen verlieren will.
Das Einzige, was sie tun kann, so meint sie, ist, dem Kammerdiener finanzielle Unterstützungen zukommen zu lassen, und so wirft sie ihm ihre Geldbörse zu, allerdings auch dafür, dass er ihr von der Wahrheit berichtet hat. Er aber „wirft sie verächtlich auf den Tisch zurück“, bewahrt seinen bürgerlichen Stolz, verachtet diese Geste der scheinbaren Mildtätigkeit, verlangt, dass sie das Geld zum Übrigen legt. Er ist enttäuscht von der fehlenden, wahrhaftigen Unterstützung und geht ohne Verabschiedung.