Der Käfer im Surrealismus - wie Gregors Geschichte umgeschrieben wurde

 

Wenn man sich die Kommentarspalte unter der Aufführung auf YouTube anschaut, wird man von eintöniger, positiver Resonanz erschlagen. Bei einigen Punkten kann ich das durchaus nachvollziehen. Die Schauspieler haben das Stück im Ganzen, wenn der Inhalt außen vorgelassen wird, ziemlich solide über die Theater-Bühne gebracht. Da ihre Intention war, Isolation und Ausgrenzung aufzuzeigen, kann man ihnen auch ein paar gute Umsetzungen und Sinnbilder zugestehen, ebenso wie passende Kamerawinkel und Schnitttechniken.

So haben die Raucher-Pausen, in denen er völlig weggetreten in die Gegend starrte, die Zerstreutheit der Protagonisten im Allgemeinen, die starren Lettern der digitalen Uhr und die Bilder an der Wand die Aussage gut unterstützt. Verstärkt wurde die Wirkung noch einmal durch die ständigen Wiederholungen des Einleitungssatzes in verschiedenen Variationen. Langweilig wurde das Schauen dadurch nicht, da ich versucht habe, diesen völlig neuen Inhalt mit all seinen surrealen Sinnbildern zu entschlüsseln. Mit der ursprünglichen Geschichte von Kafka hat diese Aufführung zumindest nahezu nichts gemein.

Der Anfang schien mir eher einer Corona kritischen Haltung zu entspringen, da vermehrt darauf eingegangen wurde, welche Auswirkungen diese Maßnahmen zur Eindämmung auf den Menschen haben – und wie es geahndet wird, wenn man dem nicht entspricht. So haben sie beispielsweise in einer der Dialog-Sequenzen gemeint, dass Gregor sich auf einmal vom Menschen zum Tier verwandelte, welchem die Fähigkeit zur Kommunikation geraubt wurde. Auf der Ebene entfernt er sich immer weiter von seinen menschlichen Werten und Verhaltensweisen, bis alles wieder zur Normalität zurückkehrt, welche er sich so dringendst wünscht.

Den Einfluss auf die Psyche wurde so dargestellt, dass der eine Samsa zum Beispiel begonnen hat, mit den Flügeln zu schlagen, nachdem der andere Samsa den Fernseher eingeschaltet hat. Das könnte man so interpretieren, dass die Nachrichten unser Handeln direkt beeinflussen – und das nicht unbedingt zum Guten. Kritisch könnte man dabei auch sehen, dass die Samsas wiederholt eine weiße Zeitung gelesen haben, die Ihnen zwar keinen Inhalt bietet, aber viel Zeit in Anspruch nimmt. Zudem war es Pflicht, Desinfektionsmittel zu nutzen, wenn man den Raum betrat oder das Mikrofon nutzte. Wenn man es nicht tat, wurde man auf dieser Ebene zum Tier erklärt, da in dem Fall nur das Rauschen und Kratzen einer Tierstimme durchs Mikrofon geleitet wurde. Erst nach dem Desinfizieren kam die normale Stimme wieder an. Dagegen etwas unternehmen konnte man nicht wirklich, da die Samsas gefilmt, vielleicht überwacht worden sind.

Man muss mit meiner Interpretation nicht übereinstimmen, aber in der Form hat sich mir der Anfang des Stücks erschlossen. Dementsprechend hat es nicht mit Kafkas Intention gemein, da er den inneren Konflikt Gregors und die Reaktion der Eltern auf seinen mentalen Zustand darstellen wollte. Gregor war krank von seinem Beruf, der Oberflächlichkeit und dass alle Last auf seinen Schultern geruht hat. Er war nicht mehr im Stande dazu, diesem Beruf nachzugehen, hinter dem er nicht stand und der ihn psychisch immer weiter zermürbt hat. Insofern hatte er sich zwar schon ein Stück weit in ein Tier verwandelt, da er sich auf diese Oberflächlichkeiten eingelassen hat und seine Werte verriet. Da seine Eltern ihren Luxus nicht aufgeben und nicht selbst arbeiten wollten, musste Gregor es tun und weiterhin beruflich tätig sein. Dazu war er jedoch nicht mehr imstande, weshalb er in den Augen seiner Eltern zum Tier degradiert wurde. Nachdem er seinen Nutzen für sie verloren hat, verlor er an Wert für sie. Das war die ursprüngliche Verwandlung.

Doch in dem Stück von Juliane Kanns wurde ausdrücklich gesagt, dass man nicht alles psychoanalytisch erklären kann, so wie es bei der Verwandlung der Fall ist. Deshalb sieht sie Gregor auch nicht als Opfer, sondern als jemand, der es sich selbst verschuldet hat, in dieser Lage zu sein, weshalb man auch kein Mitleid mit ihm haben braucht. Und anderen Menschen erginge es schließlich schlimmer, wie es immer ist. Das könnte man als Ironie werten, da gezeigt wurde, wie die Situation die Samsas psychisch fertig gemacht hat. Und weil am Ende auch darüber spekuliert wurde, ob Gregor sexuelles Interesse an seiner Schwester besaß, weshalb sie letztendlich zu dem Schluss gekommen sind, dass Kafka eine Parodie niedergeschrieben hatte, könnte man das auch auf dieses Theaterstück beziehen.

Dennoch denke ich, dass sie mit der Aufführung Kafkas Aussage völlig verkannt und stattdessen ihre eigenen Aussagen hinein geschustert haben, welche teils keinen richtigen roten Faden besitzen. Das würde zwar teils mit der Verzweiflung und Isolation zusammenpassen, hätte aber nicht das geringste mit Kafkas Werk zu tun. In dem Stück sind ein paar gute Gedanken enthalten, vermitteln auch neue Blickwinkel, aber vom Gesamtbild her reichen sie überhaupt nicht an Kafkas Aussage und Vielschichtigkeit heran.

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