So viele Gedanken rasen durch den Kopf, wie Flummi's, hin und her, werden immer mehr, doch anstatt sie aufzuschreiben, sitzt man wie erstarrt da, ertrinkt auf dem Grund eines Luftmeeres. Der Kopf ist voller Gedanken. die geäußert und zugleich in die tiefsten Winkel des Seins verschlossen werden wollen; man möchte am liebsten schreien und sich gleichzeitig zu einer Kugel zusammenrollen, in Watte eingehüllt, nichts nach Außen dringen lassend.

So entrückt, ist man nicht dazu in der Lage, die Hände zu heben, um etwas niederzuschreiben, die innere Gefühls- und Gedankenwelt mitzuteilen, weil sie schwer fassbar, komplex, flüchtig ist. Also spinnt man den Faden gedanklich weiter, sinniert darüber, dass auf der Welt mehr ungesprochene Worte existieren, als niedergeschriebene und gesprochene, sodass man die Menschen eigentlich nicht wirklich kennt - es entspricht nicht der Wahrheit, dass andere uns zeigen, wer wir sind; sie zeigen uns nur auf, wie wir auf sie wirken; wie wir auf ihr Verhalten und den dazugehörigen Situationen reagieren. Sodass große Wort, womöglich größer, tiefsinniger und bewegender als die größten, tiefsinnigsten und bewegendsten Worte, die jemals mitgeteilt worden sind, in unserem Inneren verhallen. Und wer kann schon sagen, welche Schätze in unserem Gegenüber, der stets in sich ruht, verborgen liegen? Nur, weil jemand ruhig ist, bedeutet das noch lange nicht, dass er nichts zu sagen hätte, dennoch beachten wir diese Personen meist nicht, hören lieber auf andere.

Das Übertragen der Gedanken auf Papier kann man mit dem Fotografieren vergleichen – die Gedanken erscheinen, lassen ein konkretes Bild entstehen, welches unser Bild von der Realität darstellt. Blitzschnell rasen die Gedanken durch den Kopf – um es festzuhalten, geht man die Wort noch einmal durch; man schießt sozusagen ein Bild von diesen, doch sie gleichen nicht dem realen Bild, sind in der Qualität abgeschwächt. Um das geschossene Bild zu teilen, lädt man es von der Kamera herunter, komprimiert es weiter in seiner Größe und Qualität, sodass die Farbe und Genauigkeit dahinschwindet, eben wie beim Schreiben. Und zum Schluss wird das Werk noch bearbeitet, ehe es hochgeladen wird.

Beim Prozess des Schreibens nutzt sich der Gedanke am Papier ab, wird zu etwas anderem geformt, geschliffen - und es wird nicht zwingend besser.

So schreibt man lieber über die Form, das große Ganze, anstatt ins Detail zu gehen, konkrete Themen anzuvisieren (obwohl selbst darüber Romane verfasst werden können)– aus Angst, dass alles andere ebenso verwaschen ist, an Genauigkeit verliert, dass man in das Meer aus Buchstaben fällt, an manchen hängen bleibt, doch immer weiter untertaucht, bald nicht mehr als eine tintenblaue zerlaufene Masse vor den Augen sehend. Deshalb denkt man lieber über all das nach, was geschrieben werden könnte – es ist meist so klar, wie das Gewässer eines Kiessees, auf dem man bis zum Grund sehen kann; und die Konstellation der dort liegenden Steine, der Pflanzen, Meerestiere, Wellen,... ist ebenso flüchtig, einmalig, wie der See klar ist. Nichts wird wieder in jener Form vorliegen. So sind auch die kostbaren Gedanken hinfort.

Eben jenes oben beschriebene Phänomen könnt ihr in diesen paar Zeilen wiederfinde: Während ich im Nachhinein hier auf meinem Bett sitze und eine halbe Stunde brauche, um diese Gedanken niederzuschreiben, sind mir die Gedanken beim Auf- und Abgehen in fünf Minuten durch den Kopf gerast, sich besser und klarer anfühlend, stilistisch sowie ausdruckstechnisch besser formuliert – doch zu lesen bekommt ihr einen billigen, verkürzten Abklatsch; eine komprimierte Fotografie. Manchmal wäre es wirklich fantastisch, eine wortgetreue flotte Schreibfeder zu besitzen. Die Frage, welche bleibt, ist, wie unermesslich erst die Gedankenwelt großer Denker (gewesen) sein mag.

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