„Die Literatur gibt der Seele Nahrung, sie bessert und tröstet sie.“ - Voltaire

Es gibt Aphorismen, deren Inhalt einen an seiner Denkweise zweifeln lassen, welche, mit denen man auf keinen Nenner kommt und für die man lediglich Unverständnis aufbringen kann, sowie diejenige, bei denen einem gleich im ersten Moment ein Gefühl der Verbundenheit überkommt, weil dieser genau das ausdrückt, was du empfindest. So erging es mir, als ich Voltaires Ausspruch las. Ich wette, so würde es auch den 25 % der restlichen Bevölkerung, welche liest, wie eine Statistik erwies, ergehen, wenn sie dies zu lesen bekommen würde. Dort thematisierte er kurz und prägnant eines der Themen, mit denen sich die Welt am häufigsten beschäftigte und bis heute tut: Der Literatur. Seiner Ansicht nach gibt Literatur „der Seele Nahrung, sie bessert und tröstet sie.“ Weiterhin vertrat er die Meinung, dass die Seele „beim Lesen guter Bücher“ empor wächst. Das Bemerkenswerte dabei ist immer, dass unsere Gedanken, Empfindungen und Deutungsweisen meist mehr über uns, als über das Gelesene aussagen. Dennoch möchte ich mich nun mit seinen Intentionen auseinandersetzen, erörtern, weshalb Voltaires Aphorismus der Wahrheit entspricht, und meine Sicht der Dinge darlegen.

Zuerst greife ich auf, inwiefern Bücher (als meine Assoziation für Literatur) die Nahrung der Seele darstellen. Es ist im Allgemeinen der Spruch „Wer Bücher liest, ist schlau.“ bekannt, und obwohl es am Ende auf die Literatur ankommt sowie Präzedenzfälle gibt, stimmt dieser in einem Großteil der Fälle. Laut der Forsa-Umfrage für das Hamburger Magazin lesen 31% der Hauptschulabsolventen gar keine Bücher, wohingegen von den Abiturienten und Studenten bzw. Studierenden lediglich 8% keine anrühren. Von diesen schmökern rund ein Drittel in mindestens zehn Büchern pro Jahr. Diese Studie legt also dar, dass vor allem diejenigen, welche mehr von ihrem Leben erwarten, zu Büchern greifen. Dabei kommt ihnen vor allem zugute, dass Lesen, abgesehen von der Steigerung der Gedächtnis- und Konzentrationsleistung, einem ein umfassendes Wissen liefert. Aufgrund dessen kann man sich selbst zudem besser kennenlernen, mit sich selbst in‘s Gespräch kommen, seine Wünsche, Leidenschaften und Moralvorstellungen erkunden, herausfinden, welche Veranlagungen man eventuell besitzt und anfangen, sein Potential vollständig zu entfalten. „Lesen ist für den Geist das, was Gymnastik für den Körper ist.“ Das zumindest meinte Joseph Addison. Natürlich kommt es auch darauf an, was man liest, ob Sachbücher,Romane, Novellen, Lyrik etc. . Dennoch kann man aus ein jeder von ihnen seinen Nutzen ziehen und weiteres Wissen ansammeln. Das Gute an Büchern ist doch, dass sie eine geballte Ladung an Informationen in sich vereinen, Licht in‘s Dunkle bringen und uns gleichzeitig helfen, zu verstehen, wie unwissend wir eigentlich sind. Laut Oscar Wilde verdanken wir „mehr als die Hälfte unserer heutigen Bildung (…) dem, was wir nicht lesen sollten.“ Und wenn es stimmt, was er sagt, kann man nie genug Worte in sich aufsaugen. Durch das erworbene Wissen stehen einem vielleicht später viele Türen und unverhoffte Möglichkeiten offen, wenn man es nur richtig verwendet und immer am Ball bleibt, wie es so schön heißt, und niemals in seinen Bemühen nachlässt, auch wenn man scheitert.

Abgesehen vom rationalen Stand der Dinge, dem Erweitern des Wissensstandes, gibt es noch einen weiteren Aspekt, der die Seele stärkt. Dieser umfasst, wie Einstein, ein absolutes Universalgenie einst sagte „die ganze Welt.“ Die Rede ist selbstverständlich von Phantasie. Denn was gibt es besseres? Wer sie bis dahin noch nicht besessen hat, entwickelt sie spätestens dann, wenn er der Literatur seine ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt, sowie die letzte Seite eines Buches aufgeschlagen hat. Durch sie kann man für einen kurzen Augenblick der Wirklichkeit entfliehen, um auf Abenteuerreise zu gehen, in ferne Welten zu wandern. Um sich mit Heines Worten auszudrücken: „Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die gewaltigste.“ Da diese Vorstellung für viele sehr tröstlich ist, komme ich später noch einmal darauf zurück.

Nun möchte ich erst einmal aufzeigen, inwiefern unsere Seele durch die Literatur gebessert wird. Laut der „Die Welt“-Zeitschrift wäre der Mensch ohne Bücher eine Bestie, da es kein besseres Mittel gibt, um den Nebel um unseren Geist zu lichten. Außerdem schauen wir „in den Büchern (…) die kommenden Dinge.“, wie Richard de Bury richtig feststellte, da sich alles in gewisser Weise wiederholt und wir dadurch auf früheren Fehlern klugerweise lernen können. Ohne Bücher würden sie irgendwann der Vergessenheit anheim fallen und wir könnten uns ihrer nicht mehr entsinnen. Vieles hat sich schon in der Geschichte wiederholt, einiges wird auch in der Zukunft erneut auftauchen, und dennoch wäre es um ein Vielfaches mehr, hätten wir „nicht das Hilfsmittel des Buches“.

Leider ist es jedoch so, dass unzählige Menschen eigene Fehler nicht einsehen, ihr Blickfeld nicht erweitern wollen. Deswegen greifen nicht viele zu Lektüren. Die Literatur verlangt nicht viel von einem, aber Verständnis, Einsicht und Aufgeschlossenheit gehören zu den wenigen Eigenschaften, die sie fordert, da uns verschiedene Meinungen, Charaktere, Lebensumstände und Situationen begegnen, welche nicht immer mit den unseren übereinstimmen. Wie sollten wir zudem etwas einschätzen, mit dem wir noch nie konfrontiert worden sind? An so etwas kann man nicht mit einer vorgefassten Meinung herantreten. Doch ist es nichts Neues, dass Leute, anstatt ihre Unwissenheit zu bekunden und ihre Meinung zurückzuhalten, sich lautstark über etwas echauffieren, dessen Komplexität sie nicht begriffen haben. Jeder ist individuell, auf seine Weise besonders, hat andere Erfahrungen und Werte. Mit jeder neuen Information erweitern wir unsere Kenntnisse über Menschen und verbessern unser Verständnis über das Weltgeschehen. Lesen „ist fatal für Vorurteile, Bigotterie und Engstirnigkeit.“ Obwohl Marc Twain diese Worte in Bezug zum Reisen verlauten ließ, bin ich der festen Überzeugung, dass sie in diesem Zusammenhang ebenso zutreffen. Man sagt schließlich nicht umsonst, dass Lesen Flügel verleiht und einen in entlegene Winkel der Welt entführt. Dadurch, dass man die Welt und ihre Bevölkerung aus verschiedenen Blickwinkeln kennen- sowie verstehen lernt, beginnt man auch viel mehr Fragen zu stellen. Beispielsweise nach dem Wie und Warum. Außerdem lernt man Dinge zu hinterfragen, da einem die feinen Unstimmigkeiten auffallen, die häufig bei Falschaussagen auftreten und des gleichen. Aufgrund dessen erlangt man neue Erkenntnisse und lässt sich nicht ganz so leicht hinter das Licht führen. Man versteht mehr. (Insofern man Verbindungen herstellt.)

Ein weiterer wichtiger Bestandteil , der zu der Besserung unserer Seele führt, ist, dass man anfängt, über anderer Menschen und deren Beweggründe nachzudenken. Man verurteilt sie nicht mehr so voreilig (und wenn doch, bemerkt man es immerhin und schämt sich für seine eigene Oberflächlichkeit), da einem bewusst ist, dass jeder verschieden ist und andere Erfahrungen besitzt.Wir wissen nicht, was gerade im Leben dieser Person vor sich geht, und empfinden anstatt Desinteresse oder im schlimmsten Falle Geringschätzung Mitleid. Unser bileteraler präfontaler Cortex, der an unseren emotionalen Erfahrungen beteiligte Teil des Gehirns, wird beim Lesen aktiviert, wodurch wir alles auf einer intensiveren Ebene wahrnehmen und der uns besser in die Protagonisten hineinfühlen lässt. Man kann sich besser in sie hineinversetzen und fiebert mit ihnen in jeglichen Situationen. Die Gefühle, diese Sichtweise lässt sich auch auf unsere Umgebung übertragen. Außerdem besteht „das Geheimnis, mit allen Menschen in Frieden zu leben, (…) in der Kunst, jeden seiner Individualität nach zu verstehen.“ In dieser Hinsicht stimme ich Friedrich Ludwig Jahn vollauf zu. Ein jeder sollte sich seine Aussage zu Herzen nehmen und versuchen, sein Denken und Handeln danach zu richten. Leben und leben lassen.

Und zu guter Letzt möchte ich darüber sinnieren, weshalb „Bücher (…) kein geringer Teil des Glücks“ sind, wie Friedrich der Große eins befand, und weshalb sie die treusten Tröster sind, welche man überhaupt finden kann. Jedoch möchte ich vorab klären, weshalb manche Menschen Trost in den niedergeschrieben Worten Anderer suchen gehen. Ein Grund ist, dass man sich wunderbar in ihnen verlieren kann. Sie lassen uns die eigenen tobenden Gedanken vergessen, übertönen diese, indem sie uns gewähren, in eine neue Welt mit charakterstarken Protagonisten einzutauchen, mit ihnen Abenteuer, magische Momente, wovon es jede Menge gibt, aber auch Verlust und Trauer zu erleben, mit ihnen die Schwere, die einen zuweilen niederdrückt, zu teilen. Natürlich gibt es auch gesellschaftskritische Literatur, die insofern trösten kann, als dass wir uns gemeinsam über die Ungerechtigkeiten und Kuroptionen der bestehenden Konventionen entrüsten können. Das Leben der Hauptpersonen lässt uns für einen gewissen Augenblick eigene Widrigkeiten und Pflichten vergessen. Dennoch lassen sie diese nicht verschwinden, sondern rücken sie so lange in den Hintergrund, bis wir den angestauten Stress abgebaut und mit uns besser mit dem Vergangen oder Bevorstehendem arrangiert haben. Oftmals hilft das Lesen uns, Lösungsansätze zu finden und neue Kraft zu tanken. Zuweilen gibt uns das Gelesene so viel Stoff zum Nachdenken, dass wir merken, wie nichtig und belanglos eigentlich der Gegenstand war, der uns Kopfzerbrechen bereitet hat. Zumindest geht es mir manchen Tage so, und das Wissen darum hilft mir, derlei zu meistern.

Bisweilen kommt es auch vor, dass einem die Angst vor der Ungewissheit des Kommenden heimsucht. In diesem Moment schöpft man Trost daraus, dass in Büchern das Ende, obschon noch ungewiss, in welcher Weise, meist gut ausgeht. Dieser Umstand lässt einen nach Vorne blicken. Der Sprachtherapeut Alexander Wilhelm sagt, dass wir „oft zu viele Probleme und wenig Heilsames“ haben. Deshalb verschreibt er seinen Patienten oftmals Bücher als Medizin, da sie helfen. Auch andere Psychologen sind mittlerweile dazu übergegangen, dies in manchen Fällen zu tun. Nicht umsonst ist uns Franz Kafkas Ausspruch, „Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“, im Kopf geblieben. Das stimmt. Auch mir kommt es manchmal so vor, als lebe ich „nur“ für das geschriebene Wort. Die Bücher geben einem Halt und berühren, nein, viel mehr umarmen die Seele.

Lesen heilt, so viel ist nun klar, aber Literatur umfasst nicht nur Lesen, sondern auch Schreiben. Woher sollten wir sonst all die Werke beziehen? Über alle Jahrtausende hinweg haben die Menschen bis heute niedergeschrieben, was sie gerade berührt und beschäftigt hat, was sie gerade gedacht und erlebt haben, um ihrem Leben eine tiefere Bedeutung zu geben, sich zu befreien, Geschehenes zu verarbeiten, Ungerechtigkeiten ans Licht zu bringe, Missstände zu beseitigen oder einfach deshalb, weil sie ihr innerstes Selbst für andere Aufbewahren und am Leben halten wollen. Es ist eine zutiefst menschliche Eigenschaft, nicht in Vergessenheit geraten, ein Zeichen setzen zu wollen, zu wissen, dass unser Leben irgend einen Sinn besessen hat. Und was gibt es da besseres, als auf sein Lebenswerk stolz zu sein? Damit anderen Menschen geholfen, sie berührt zu haben? Jean Paul war der Meinung, „ein Buch [sei] dem Verfasser, was den Schönen ihr Bild im Spiegel“ ist. Wenn mir eine Sache gewiss ist, dann die, dass dies der Wahrheit entspricht.

Da es unendlich viele Gründe gibt, weshalb Literatur tröstet, gehe ich nur noch auf einen ein, um es kurz zu halten. Es kommt durchaus vor, dass man sich, wenn einen etwas wirklich beschäftigt oder belastet, Niemandem anvertrauen möchte. Sei es deswegen, weil man seine Lieben nicht beunruhigen will, man niemanden hat, an den man sich wenden kann, oder aus Angst vor der Reaktion deines Gegenübers auf das Offenbarte. Alles ist möglich. In diesem Augenblick ist es ein wiederholter Segen, als Freund, Tröster und Zuhörer das Buch zu haben. Hin und wieder findet man einen Lichtblick sowie Ermunterung darin, sich mit den Protagonisten zu identifizieren, in die Haut eines anderen zu schlüpfen. Man besitzt auf einmal nicht nur ein Leben, sondern unendlich viele, dazu aufregende Abenteuer und tolle Freunde. Von der eigenen Umgebung und dessen Menschen oder einfach sich selbst enttäuscht, springt man in andere Gefilde, kann alles tun, alles sein, treffen, wen man will. Der Gedanke, durch den Menschen im Allgemeinen bekümmert und frustriert zu sein, sich dann aber in eine vom ihm erschaffene Realität zu flüchten, stimmt mich zuweilen recht nachdenklich und erheitert auf düstere Weise. Denn es liegt viel eher daran, dass wir uns nach den Menschen, die all das entstehen ließen, sehnen. Wir verzehren uns danach, mit denjenigen über das zu sprechen, was uns zutiefst berührt, belustigt oder pikiert.Und da wir dies meist nicht können, wenden wir uns den Büchern zu. Sie sind oftmals bessere Freunde, als Menschen. Sie hören zu, bewahren all das auf, was du ihnen anvertraust, verraten und verurteilen dich nicht. „Bücher konnten mir die Wahrheit sagen und ich ihnen.“ Ich empfinde es ebenso wie Cassandra Clare.

Damit möchte ich aber keinesfalls aussagen, dass das Lesen von Büchern im Allgemeinen isoliert und einen von anderen entfremdet. Sie können sogar ganz im Gegenteil ein Bindeglied sein und zum Knüpfen von neuen Kontakten führen, zum Finden von Gleichgesinnten, was das Selbstbewusstsein stärkt und das Leben schöner macht. Und wegen all der aufgezählten und fest in meinem Kopf, meinem Herzen verankerten Punkte wird die Literatur meine letzte Leidenschaft sein.

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